Der Ärztemangel nimmt erst richtig an Fahrt auf

Stethoskop

Jürgen Burdenski ist seit über 20 Jahren Hausarzt in Preungesheim. Außerdem ist er Vorsitzender des Kassenvereinbezirks Frankfurt und Mitglied des Hauptausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung. Daher wurde er vom Ortsbeirat 10 (Berkersheim, Bonames, Eckenheim, Frankfurter Berg, Preungesheim) eingeladen, um über die Versorgung der Stadtteile mit ärztlichen Dienstleistungen zu berichten.

Dr. Burdenski befürchtet, dass wir „eine deutliche Verschlechterung der Lage erleben werden“. In Eckenheim gibt es derzeit nur 4 Hausärzte, wobei einer von ihnen bereits 73 Jahre alt ist. In Berkersheim gibt es sogar überhaupt keinen Hausarzt mehr. Im Vergleich dazu haben wir hier am Riedberg noch 2 Hausärzte, was aber bei geschätzten 16.000 Einwohnern auch zu wenig ist.

Der Schuldige ist schnell ausgemacht. Die Stadt verweist auf die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, die festlegt, wie viele Ärzte sich in einem Gebiet ansiedeln dürfen. Normalerweise sollte auf 1.600 Einwohner ein Hausarzt kommen, doch in den nordöstlichen Stadtbezirken wird selbst in dem am besten versorgten Stadtteil Preungesheim gerade einmal ein Versorgungsgrad von 76 % erreicht.

Dass viele Stadtteile unterversorgt sind, wird von der Politik stillschweigend hingenommen. Gerne verweist man darauf, dass der Bezirk Frankfurt derzeit sogar eher überversorgt ist, weil sich eine Vielzahl von Ärzten in der Innenstadt ballen (dort herrscht ein Versorgungsgrad von 500 %).

Es wird erwartet, dass die Menschen aus den unterversorgten Gebieten entweder mit dem Auto oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt zu den dort ansässigen Ärzten fahren, um sich behandeln zu lassen.

Doch allein auf die Kassenärztliche Vereinigung (KV) zu schimpfen, ist zu kurz gegriffen. Dieses verrückte System ist nicht auf dem Gras der KV gewachsen. Politische Entscheidungen, die Anfang der 1990er Jahre getroffen wurden, führten zu Richtlinien für die Bedarfsplanung. Die freie Niederlassung qualifizierter Ärzte wurde aufgehoben, da man befürchtete, durch mehr Ärzte auch mehr Kosten für das Gesundheitswesen zu erzeugen.

Daher wurde die Zahl der Ärzte begrenzt. Obwohl inzwischen Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Entscheidungen entstanden ist, hat sich bisher kein Gesundheitsminister an eine Änderung des Systems herangewagt.

Am Riedberg zum Beispiel, wurde zum 30.09.2020 das Ärztezentrum geschlossen. Unter dem Arbeitstitel „Strategische Neuausrichtung“ wurde das Medizinische Versorgungszentrum im damals jüngsten Stadtteil einfach liquidiert.

Am Riedberg leben fast 5.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die nächstgelegenen Kinderärzte sind aber erst im Mertonviertel zu finden. Auch die gynäkologische Versorgung lässt Wünsche offen, denn auch die findet erst im Mertonviertel eine Vertreterin ihre Kunst.

Obwohl schon 2016 auf das Thema Unterversorgung deutlich hingewiesen wurde, hat sich in den letzten 7 Jahren nicht wirklich etwas zum Besseren gewandelt. In Deutschland fehlen mindestens 5000 Studienplätze für Medizin. Dies wurde sogar vom derzeitigen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bemängelt. In Konsequenz fehlen jedes Jahr zwischen 3.000 und 6.000 Studienplätze im Fach Humanmedizin.

In vielen Stadtteilen gibt es darüber hinaus noch einen großen Anteil an Ärzten, die über 60 Jahre alt sind und die in den nächsten Jahren sukzessive in Rente gehen werden. Dem stehen auf der anderen Seite die Babyboomer gegenüber, die jetzt ebenfalls die 60 erreicht haben, auch sukzessive in Rente gehen und altersbedingt einen erhöhten Bedarf an ärztlicher Hilfe haben.

Keine guten Aussichten für die kommenden Jahre und Jahrzehnte. Es wird Zeit für eine Neuorientierung, damit rechtzeitig die Weichen gestellt werden, um die Zukunft zu bewältigen.


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