Schlagwort: FIAS

Inselvulkane und ihre Gefahren besser verstehen

Insel-Vulkane

Studie am FIAS hilft Vulkanausbrüche einzuschätzen

Eine detaillierte Analyse des Ausbruchsverhaltens der Inselvulkane Stromboli, Ätna (Italien), Yasur (Vanuatu) und Whakaari (Neuseeland) veröffentlichte Darius Fenner aus Nishtha Srivastavas Team zusammen mit Patrick Laumann und Georg Rümpker am Frankfurt Institute of Advanced Studies (FIAS). Solche Analysen vergangener größerer und kleinerer Ereignisse können helfen, die Ausbrüche von Vulkanen einschließlich der zugrunde liegenden physikalischen und chemischen Prozesse zu verstehen.

Verschiedene Arten vulkanischer Ereignisse erfasst eine Forschungsgruppe des FIAS mit einem kürzlich von ihr entwickelten Ansatz. Sie katalogisiert alle kleinen und großen seismisch-vulkanischen Ereignisse einschließlich großer Eruptionen kontinuierlich an Stationen in der Nähe von Vulkanen. Um die Bedeutung solcher Ereignisse schneller einordnen und erkennen zu können, hilft das automatisierte und äußerst leistungsfähige Verfahren „Adaptive-Window Volcanic Event Selection Analysis Module“ (AWESAM), das die FIAS-Arbeitsgruppe Seismology & Artificial Intelligence (SAI) vergangenes Jahr vorgestellt hatte. (https://fias.news/aktuelles/vulkanische-aktivitaet-messen/)

In ihrer aktuellen Forschungsarbeit analysierte die Gruppe die vorliegenden Daten aus bis zu 15 Jahren im Detail, beispielsweise die Zeitabstände zwischen den Ereignissen, die Amplituden und das Verhältnis von Amplitude und Häufigkeit. So konnten sie Unterschiede und gemeinsame Muster bei den vulkanischen Ereignissen feststellen.

Sie beobachteten beispielsweise, dass es auf Stromboli häufiger große Ausbrüche gibt als man auf Grundlage bekannter Zusammenhänge erwarten würde. Aufbauend auf ihren früheren Ergebnissen bewertet und erweitert die Studie das Verständnis dieses Phänomens auf der Grundlage von Daten aus einem Jahrzehnt. So fand sich ein bestimmtes Muster vor und nach den beiden heftigen Stromboli-Ausbrüchen 2019. Der erweiterte Datensatz bestätigt die statistische Signifikanz der Ergebnisse. Bisher wurde dieses Muster aber nur für Stromboli beobachtet, was Fragen über die Einzigartigkeit dieses Musters aufwirft.

Darüber hinaus klassifiziert die Studie die Ereignisarten für Stromboli mithilfe eines selbständigen maschinellen Lernansatzes. Sie zeigt bestimmte Muster vor und nach Ausbrüchen, die die Gruppe erstmals detaillierter unterteilen konnte. Basierend auf einem Clusteralgorithmus ordnete sie beispielsweise die Frequenzen der Ereignisse genauer ein. Diese Muster können für die Vorhersage großer Eruptionen von Bedeutung sein.

Mit einem identischen Ansatz für alle 4 Vulkane fand die Gruppe ein ähnliches Verhalten trotz unterschiedlicher Typen und Aktivitäten. Whakaari zeigt ebenfalls ein typisches Muster in der Wiederholung großer Ereignisse. Da diese Beobachtung auf Daten einer einzelnen Station beruht, sind weitere eingehende Untersuchungen erforderlich, sobald mehr Daten zur Verfügung stehen. „In einem nächsten Schritt wollen wir untersuchen, ob es frühzeitige Anzeichen für größere Eruptionen gibt“, so Erstautor Darius Fenner. „Unsere Methode bietet eine vielversprechende Grundlage zur genaueren Vulkanüberwachung und für ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse“.


Weitere Informationen

Publikation: Darius Fenner, Georg Rümpker, Patrick Laumann und Nishtha Srivastava, Amplitude and inter-event time statistics for the island volcanoes Stromboli, Mount Etna, Yasur, and Whakaari. Front. Earth Sci. 11:1228103.
doi: 10.3389/feart.2023.1228103, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/feart.2023.1228103/full

 

Kontakt
Dr. Nishtha Srivastava
Theoretische Naturwissenschaften
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47618
eMail: srivastava@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/theoretische-naturwissenschaften/gruppen/nishtha-srivastava

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Gehen oder Bleiben? Die Forschung zählt!

Wissenschaftler aus der Ukraine am FIAS

Das FIAS als vorübergehende Heimat für ukrainische Forschende

Sieben ukrainische Wissenschaftler hatte das »Frankfurt Institute for Advanced Studies« (FIAS) nach dem Angriff auf ihr Land vergangenes Jahr aufgenommen. Wie geht es ihnen heute?

Dr. Roman Poberezhnyuk

lobt „die großartige Arbeitsumgebung“ am FIAS. Er hatte schon vor dem Krieg mehrere Monate als Gastwissenschaftler am FIAS verbracht. So konnte er seine wissenschaftlichen Kontakte nutzen und hier umgehend Unterstützung und Unterkunft finden. Herr Poberezhnyuk arbeitet schon seit Jahren mit Forschenden der Gruppe von Prof. Horst Stöcker am FIAS zusammen, um die thermodynamischen Eigenschaften dichter elementarer Materie zu verstehen.

Die Wohnungssuche sei nicht einfach gewesen, und auch die Aufenthaltsgenehmigung verzögerte sich. Aber davon abgesehen sind Herr Poberezhnyuk und seine ebenfalls hier lebende Freundin rundum zufrieden. Er verfasste während seines Aufenthalts 4 Veröffentlichungen, 2 weitere sind in Arbeit. Seine Karriere will der Physiker ab nächstem Jahr in den USA fortsetzen, wo er im Institut eines Kollegen eine Stelle als Postdoktorand angeboten bekam.

Eine Rückkehr in die Ukraine hänge von den Forschungsmöglichkeiten nach dem Krieg ab. Vor dem russischen Angriff habe es eine positive Entwicklung bei den Fördergeldern gegeben, die ermöglichten, von der Forschung zu leben. Wie sich das künftig entwickeln wird, ist völlig offen.

Oleksandr Stashko & Oleh Savchuk

Dr. Poberezhnyuk Kollegen sind bereits als Doktoranden in die USA weitergezogen. Sie hatten beide zeitweise Aufnahme am FIAS gefunden und waren „sehr dankbar für die prompte Rundum-Unterstützung des Forschungsaufenthalts“ in Frankfurt.

Prof. Mark Gorenstein

hingegen ist im April nach Kyjiw zurückgekehrt. Der Forschungsleiter am dortigen Bogolyubov-Institut für Theoretische Physik an der Nationalen Akademie für Wissenschaften der Ukraine war ein Jahr zuvor angesichts der Bombardements in Kyjiw samt Familie nach Deutschland geflohen.

„Auch heute schlafen wir schlecht, jede Nacht gibt es Bombenangriffe“, beschreibt Prof. Gorenstein die bedrückende Atmosphäre in Kyjiw. Glücklicherweise werde wenig zerstört – dank der Flugabwehr. Warum er dennoch zurückgekehrt ist? „Die Unterstützung, für die ich dem FIAS und der Alexander von Humboldt-Stiftung sehr dankbar bin, endete. Ich hätte als Flüchtling in Deutschland bleiben können, wollte aber meine Arbeit in Kyjiw fortsetzen“.

Diesen Schritt habe er nicht bereut. Das Institut in Kyjiw und die Wissenschaftler vor Ort arbeiteten, auch wenn die meisten Seminar online stattfänden. 2001 erhielt Prof. Gorenstein den Alexander von Humboldt-Preis für seine Forschung zu Phasenübergängen und deren Signaturen in Kooperation mit dem FIAS und der GSI in Darmstadt.

Er hatte 2022 ein Stipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung erhalten und lebte mit Frau, Tochter und Enkeltochter in Frankfurt. Prof. Gorenstein lobt die fruchtbare Zusammenarbeit mit den FIAS-Kollegen, die Unterstützung und die Hilfsbereitschaft aller Mitarbeitenden. „Während meines Aufenthalts in Frankfurt entstanden 7 Veröffentlichungen“.

Prof. Dmytro Anchyshkin

Prof. Gorensteins Kollege, selbst Professor vom Bogolyubov-Institut, hat sich hingegen entschieden, erstmal als Flüchtling in Deutschland zu bleiben. Er hatte 4 Monate lang als Gastprofessor am FIAS gearbeitet. Jetzt nehmen er und seine Frau die staatliche Unterstützung, um weiter am FIAS zu arbeiten. Hier wird ihm ein Arbeitsplatz zu Verfügung gestellt.

Er überlegt, nach Kyjiw zurückzukehren, um mit jungen Wissenschaftlern zu arbeiten. Doch ein Besuch des Ehepaars in der Ukraine um Weihnachten herum war erschreckend: „Wegen der Bombardierung gab es stundenlang weder Strom, noch Internet, Heizung oder Wasser“. Prof. Anchyshkin ist sehr dankbar für die herzliche Gastfreundschaft und Unterstützung durch die FIAS-Verwaltung und die FIAS-Forschenden, allen voran Herrn Prof. Stöcker.

Zhanna Khuranova

hatte 2020 ihren Master in Physik abgeschlossen. Sie wollte sich ohnehin für eine Doktorandenstelle in Deutschland bewerben – der Krieg konkretisierte diesen Wunsch. Oleh Savchuk vermittelte ihr Kontakte am FIAS. Vergangenen August lernte sie so PD Dr. Benjamin Dönigus kennen. Bei ihm promoviert sie nun seit Anfang des Jahres am Fachbereich Physik der Goethe-Universität zur Vorhersage und Messung von Hadronen, subatomaren Teilchen, die von einer starken Wechselwirkung zusammengehalten werden.

„Ich bin froh, dass sich Prof. Stöcker vom FIAS für mich eingesetzt hat und bin sehr glücklich mit meinem aktuellen Forschungsthema, meinem Betreuer und der Unterstützung durch den Bund“, so Khuranova. Dass sie jemals in die Ukraine zurückkehren wird, bezweifelt sie: „Meine Familie lebt in den USA“. Und ein Aufenthalt am CERN in Genf lockt sie als wissenschaftliche Herausforderung.

Maria Khelashvili

hatte am Bogolyubov-Institut ihre Promotion über ultraleichte dunkle Materie begonnen. Sie war sehr froh, am FIAS ihre Forschung vorläufig fortsetzen zu können, dank eines Stipendiums der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.

Ihre Arbeit über ultraleichte und axionartige Kandidaten für dunkle Materie verfolgt sie nun als Gastdoktorandin an der Princeton University (USA). „All das wäre ohne die anfängliche und sehr prompte Unterstützung durch das FIAS nicht möglich“, betont sie voller Dankbarkeit.

Danylo Batulin

hat vor wenigen Wochen am FIAS promoviert. Er kam bereits 2016 aus der besetzten Region Luhansk nach Deutschland. Er erzählt, dass einige seiner Freunde und Familienmitglieder seit dem Einmarsch verwundet oder getötet wurden. Die Immobilien seiner Familie sind zerstört.

Anfangs sei ihm die Normalität des Lebens hier schwergefallen – angesichts von Festivals, Musik und Feiern. „Mir hat es geholfen damit umzugehen, indem ich Freiwilligenprojekten der Ukraine von hier aus unterstützt habe“.

Er lobt: „Großartig, wie schnell und effektiv die FIAS-Verwaltung auf die Invasion reagierte. Die symbolische große ukrainische Flagge über dem FIAS hat mich sehr bewegt“. Begeistert ist er von seinem Doktorvater Jochen Triesch, in dessen Arbeitsgruppe er 2 Veröffentlichungen verfasste.

Hilfe durch das FIAS

„Das FIAS unterstützt weiterhin wo immer möglich Wissenschaftler, die in der Heimat bedroht sind und ihre Forschung nicht fortsetzen können“, betont FIAS-Direktor Eckhard Elsen. Die Zusammenarbeit mit Geldgebern wie der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Stiftung Polytechnischer Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft erlaube es dann, Forschenden aus aller Welt – zumindest zeitweise – eine Heimat zu geben.

Vorrangiges Ziel bleibe aber, ihnen zuhause langfristig ein erstrebenswertes Arbeitsumfeld zu ermöglichen und das durch Zusammenarbeit zu stärken. So erwägt das FIAS beispielsweise landes- und fachübergreifende Konferenzen.

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FIAS: Einblicke in das Recycling unserer Zellen

Computersimulation des Proteinkomplexes ATG3

Forschenden am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) ist ein bedeutender Durchbruch im Verständnis der Autophagie gelungen, einem lebenswichtigen zellulären Mechanismus für Abbau und Recycling beschädigter Zellbestandteile.

Zellen besitzen eine ausgeklügelte „Recyclingsystem“, die Autophagie. Dieser griechische Begriff bedeutet „Selbstverzehr“ und ist ein komplexer Prozess. Alle Zellkomponenten – wie kleine Moleküle, Zucker, einzelne Proteine, Lipide – sind in einer enorm komplexen Choreografie organisiert, die für das korrekte Funktionieren der Zelle und letztlich für die Gesundheit und das Überleben des gesamten Organismus notwendig ist.

Manchmal werden Teile dieser Choreographie beschädigt – etwa ein Proteinkomplex oder eine Membran – und die Zelle muss sie beseitigen, bevor sie ihre normale Funktion beeinträchtigen. Oder eine Zelle leidet unter Nährstoffmangel, sodass sie vorhandene Moleküle nutzen und recyclen muss, um sich auf wesentliche Aktivitäten zu konzentrieren. In diesen Situationen wird die Autophagie aktiviert.

Autophagie beruht auf dem Zusammenwirken zahlreicher regulatorischer Proteine, die die Bildung dieser zellulären „Müllabfuhr“ steuern. Sie sammeln den zum Recycling bestimmten Zellinhalt – beispielsweise defekte Proteine – in Bläschen, den Autophagosomen. Eine entscheidende Rolle bei der Bildung dieser Autophagosomen, den Strukturen, die das abzubauende Material einkapseln, spielt das Protein ATG3.

Das Forscherteam um FIAS-Fellow Roberto Covino fand heraus, dass eine bestimmte Seitenkette des ATG3-Protein über einzigartige biophysikalische Eigenschaften verfügt: Diese Eigenschaften ermöglichen es ihr, streng kontrolliert mit Membranen zu interagieren. Und sie sind für die Funktion des Proteins bei der Autophagie wesentlich.

Dieses tiefere Verständnis der molekularen Mechanismen, die der Autophagie zugrunde liegen, könnte erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung von Behandlungen für Krankheiten haben, die mit einer gestörten Autophagie einhergehen, wie etwa neurodegenerative Erkrankungen und Krebs.

 

Abbildung: Computersimulation des Proteinkomplexes ATG3 (orange) auf einer Lipidmembran (grau/transparent). Die Forschenden identifizierten den auf der Membran liegenden Teil (eine amphipathische Helix) als entscheidend für den Prozess der Autophagie. Dieser grundlegende Recycling-Prozess in unseren Zellen ist bei bestimmten Krankheiten gestört.


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

 

Publikation:
Taki Nishimura, Gianmarco Lazzeri, Noburu Mizushima, Roberto Covino, Sharon A. Tooze, Unique amphipathic α helix drives membrane insertion and enzymatic activity of ATG3, Science Advances 9:25, 2023, DOI: 10.1126/sciadv.adh1281

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FIAS: Algorithmen erhellen Blitzstrukturen

Blitze: Bild generiert durch AI

Blitze sind ein Naturphänomen, das Menschen seit Jahrhunderten fasziniert. Das wissenschaftliche Verständnis der komplexen Strukturen von Blitzen ist jedoch aufgrund der riesigen Datenmengen eine Herausforderung. Forscher des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und der Universität Groningen haben nun eine neuartige Methode entwickelt, um die Strukturen von Blitzen mit Hilfe von maschinellem Lernen zu verstehen. Mit diesem Wissen ließen sich eines Tages die von Gewittern ausgehen­den Gefahren verringern.

Die Analyse von Blitzdaten kann sehr zeitaufwändig sein und beruht bisher auf Fotos, anhand derer Forschende die Struktur von Blitzen untersuchen. Ein einziger Blitz besteht aus Hunderten feiner und komplexer Strukturen und unzähligen unterschiedlichen Phänomenen.

Um dieser Herausforderung zu begegnen, entwickelten Lingxiao Wang und seine Kollegen Brian Hare, Horst Stöcker und Kai Zhou eine neuartige Methode, um mit Hilfe von Algorithmen des maschinellen Lernens und Korrelationsanalysen Strukturen in Blitzdaten zu erkennen.

Sie nutzten dafür Daten aus dem niederländisch-deutschen Radioteleskop LOFAR (Low Frequency Array), einem Netzwerk aus etlichen Einzel-Antennen. „Die Erforschung der Blitzstruktur ist der erste Schritt zum Verständnis des Auftretens und der Entwicklung von Blitzen“, erklärt Wang. „Wenn wir künftig diese extremen Phänomene besser verstehen, können wir Gefahren durch Blitzschläge besser einschätzen und vermeiden“.

Die Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Chaos, Solitons and Fractals, erhellt das Verständnis von Blitzstrukturen und gibt Einblicke in die komplizierten Korrelationsfunktionen für verschiedene Blitzphänomene. Der Einsatz von Algorithmen des maschinellen Lernens kann dazu beitragen, Strukturen anhand zahlreicher räumlich-zeitlicher Punkte in einem hochdimensionalen Raum zu identifizieren, was mit bloßem Auge sehr zeitaufwändig wäre. Diese neuartige Methode ist ein leistungsfähiges Werkzeug, um riesige multidimensionale Datensätze nach einzigartigen Strukturen zu durchsuchen.

Die Ergebnisse dieser Studie haben potenzielle Anwendungen über den Bereich der Physik hinaus. Die Kombination aus den in dieser Studie verwendeten Algorithmen kann zur Suche nach einzigartigen Strukturen in großen multidimensionalen Datensätzen in Bereichen auch außerhalb der Physik eingesetzt werden – „beispielsweise für Daten aus Biologie und Medizin, von Erdbeben oder zur menschlichen Mobilität“, so Wang.

Diese Forschung unterstreicht das Engagement des FIAS, wissenschaftliche Erkenntnisse durch innovative Forschungsmethoden voranzutreiben. Durch die Entwicklung neuer Werkzeuge und Techniken zur Analyse komplexer Datensätze leisten unsere Forscher einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Naturphänomenen.


Abbildung: Elektrische Ladung in der Atmosphäre erzeugt eine Spur geladener Luft von der Gewitterwolke zum Boden, den „Leiter“ (leader). Ein neu entdecktes Phänomen sind kleine Bahnen aus geladener Luft, die „Nadeln“ (needles). Aus Blitzdaten von Radioteleskopen kann mit Hilfe Künstlicher Intelligenz deren Feinstruktur berechnet werden.


Kontakt:

Dr. Lingxiao Wang
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.:+49 69 798 47619
eMail: lwang@fias.uni-frankfurt.de

Dr. Anja Störiko
FIAS-Pressestelle
Tel.: +49 (0)69 798 47507
eMail: stoeriko@fias.uni-frankfurt.de

 

Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und Kl-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

 


Publikationen:

  • Lingxiao Wang, Brian M. Hare, Kai Zhou, Horst Stöcker und Olav Scholten, Identifying Lightning Structures via Machine Learning, Chaos, Solitons & Fractals 170,113346 (2023).
  • Brian M Hare, Olaf Scholten, Joseph Dwyer et al. Needle-Iike structures discovered on positively charged lightning branches, Nature, 2019, 568(7752): 360-363.
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Verlauf von Grippe-Infektionen vorhersagen

Grippe Infektion und Künstliche Intelligenz

Wenige Tropfen Blut könnten ausreichen, um den Verlauf einer Grippeerkrankung vorherzusagen. Das legt eine Studie des Teams um Esteban Hernandez-Vargas am Frankfurt Institute for Advanced Sciences (FIAS) nahe, gemeinsam mit Infektiologen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und dem Universitätsklinikum Magdeburg.

An echter Grippe (Influenza) erkranken jedes Jahr weltweit bis zu 5 Millionen Menschen. Viele von ihnen sterben. Daher ist es wichtig, die Viruslast in der Lunge und die Immunreaktionen der Patienten auf das Virus im Auge zu behalten.

Herkömmliche Methoden nutzen beispielsweise die Bestimmung viraler Antigene1 oder von Entzündungsmarkern aus Abstrichen der Atemwege. Sie sind nicht sehr empfindlich, dafür aber recht aufwendig.

Die größte Hürde ist die Probenahme in der Lunge, die für akut infizierte Patienten riskant ist. Eine nicht-invasive Methode2 zur Vorhersage des Verlaufs einer Grippe wäre daher eine Erleichterung. Ein Ansatzpunkt ist die veränderte Zusammensetzung von Blutzellen im Verlauf der Grippeerkrankung. Solche Blutwerte sind einfach und schnell zu gewinnen und bereits Routine in der Diagnose und Patientenversorgung.

Die Gruppe von Hernandez-Vargas setzte nun verschiedene Machine-Learning-Modelle3 ein, um diagnostische Daten aus Blut- und Lungen-Proben zu bewerten, die im Verlauf einer Grippeinfektion in Mäusen gewonnen wurden. Sie nutzten Machine-Learning-Algorithmen, die mehrere Schichten an Informationen verarbeiten können.

So können sie die Viruslast und die Immunreaktion in der Lunge (Zytokine4 und Leukozyten5) aus Blutwerten vorhersagen. Umfangreiche Daten für das Training und die anschließende praktische Überprüfung der Modelle stammen aus Infektionsexperimenten in Mäusen am HZI.

„Wir konnten zudem zeigen, dass bestimmte weiße Blutkörperchen (neutrophile Granulozyten) sowie Blutplättchen (Thrombozyten) eine entscheidende Rolle bei der Vorhersage des Infektionsverlaufs in der Lunge spielen und stark an der Immunantwort gegen Grippeviren beteiligt sind“, erklärt Herr Dr. Esteban Hernandez-Vargas.

Die Methode ebnet den Weg zur besseren klinischen Überwachung von Grippe-Infektionen und möglicherweise auch anderen Atemwegsinfektionen auf der Grundlage von Blutwerten. „Eines Tages sind diese Vorhersagen hoffentlich präzise genug für eine wertvolle Hilfestellung zur weiteren Behandlung von Patienten“, so FIAS-Doktorand Suneet Jhutty, einer der beiden Erstautoren der Studie.

Künftig könnte möglicherweise jedes Routine-Blutbild auch eine Einschätzung zum Zustand in der Lunge und damit Hinweise auf den Verlauf von Infektionskrankheiten liefern.

Die Studie lässt sich noch nicht vollständig auf den Menschen übertragen, etwa weil anders als im zugrunde liegenden Tierversuch Menschen sich mehr als einmal mit Grippe infizieren können, was den Verlauf der Infektion und die Immunantwort auf das Grippevirus erheblich beeinflusst. Weitere Studien sollen klären, wie im Modell die genetische Vielfalt der Patienten nachgeahmt werden kann.

Jüngste Untersuchungen des Teams weisen darauf hin, dass auch die Diagnose von COVID-19 aus dem Blut möglich sein könnte.


1 Das Virus wird anhand bestimmter Eiweiße (sog. Antigene) nachgewiesen. Die Funktionsweise eines Antigen-Tests ist ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest.

2 Mit „nicht invasiv“ sind Untersuchungen und Behandlungen gemeint, bei denen kein Gewebe verletzt wird und die nötigen Instrumente nicht in den Körper eingeführt werden.

3 Machine Learning (Maschinelles Lernen) ist eine Anwendung der künstlichen Intelligenz (KI). IT-Systeme lernen automatisch Muster und Zusammenhänge aus Daten und verbessern sich, ohne explizit programmiert zu sein. Ein Machine Learning-Modell ist eine Datei, die darauf trainiert wurde, bestimmte Arten von Mustern zu erkennen. Sie trainieren ein Modell anhand von Daten, indem Sie einen Algorithmus bereitstellen, mit dem diese Daten analysiert und zum Lernen verwendet werden können.

4 Zytokine, sind körpereigene Eiweiße, die sich für einen wesentlichen Teil der Zellsteuerung verantwortlich zeigen. Die Tragweite ihres Potenzials steht bis heute nicht fest.

5 Leukozyten sind Blutzellen, die im Gegensatz zu roten Blutkörperchen (Erythrozyten) keinen roten Blutfarbstoff enthalten. Sie erscheinen deshalb „weiß“ beziehungsweise farbarm. Man nennt sie daher auch weiße Blutkörperchen. Die Hauptaufgabe der Leukozyten ist die Abwehr von Krankheitserregern.


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mithilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

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Hannah Elfner zum Senior Fellow ernannt

Hannah Elfner

FIAS beruft theoretische Physikerin als erste Frau und jüngstes Mitglied.

Pünktlich zum 40. Geburtstag „Senior“ zu werden, klingt erst mal nicht so schmeichelhaft. Und dennoch ist die Ernennung von Prof. Dr. Hannah Elfner zum Senior Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) eine Auszeichnung.

Sie ist damit die erste Frau, die es im theoretischen Forschungsinstitut in diese höchste Kategorie geschafft hat – vergleichbar einer W3-Professur an der Universität. Die Senior Fellows, aktuell 12 an der Zahl, bilden die FIAS Faculty, beraten das unabhängige Forschungsinstitut, leiten die Forschungsgruppen und ernennen die Fellows.

Schon der vorige runde Geburtstag bescherte Frau Elfner eine verdiente Beförderung: Mit 30 Jahren wurde sie zu einer der jüngsten Physik-Professorinnen Deutschlands ernannt – zumindest in der theoretischen Physik noch eine Ausnahme. „Mich fasziniert, wie die kleinsten Bausteine unserer Welt funktionieren – das will ich verstehen,“ so Frau Elfner.

Sie beschäftigt sich mit einem Materiezustand, wie er im frühen Universum nur Mikrosekunden nach dem Urknall existierte. „Danach verwandelten sich die kleinsten und freien Bestandteile der Materie, das Quark-Gluon-Plasma, in die heutigen Bausteine der Materie, die Protonen und Neutronen“.

In energieintensiven Teilchenbeschleunigern lässt sich dies nachahmen, indem Atomkerne aus Blei oder Gold auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden, sodass bei ihrer Kollision miteinander Temperaturen und Dichten entstehen, wie sie kurz nach dem Urknall existiert haben.

Frau Elfner beschreibt diese Vorgänge in mathematischen Modellen: Sie berechnet die zeitliche Entwicklung der mikroskopischen Schwerionenkollisionen und gleicht verschiedene Annahmen für die Eigenschaften der Materie mit experimentellen Daten ab.

Aktuell 16 Wissenschaftler ihrer Gruppe forschen in 7 nationalen und internationalen Kooperationen. So versuchen sie im Cluster-Projekt ELEMENTS mit Kollegen aus Darmstadt zu verstehen, wie die Eigenschaften von Materie bei hohen Dichten aus Schwerionenkollisionen bestimmt werden können, um die astrophysikalischen Prozesse beim Verschmelzen von Neutronensternen aufzuklären.

Frau Elfner engagiert sich sehr für den wissenschaftlichen Nachwuchs. So hat sie bereits fast 40 Nachwuchswissenschaftler erfolgreich zum wissenschaftlichen Abschluss begleitet. Neben der Ausbildung von Studierenden und Promovierenden gewährt sie regelmäßig der Öffentlichkeit Einblick in ihre Forschung in Vorträgen und bei Veranstaltungen – dabei zeigt sie ganz nebenbei, wie erfolgreich Frauen in der Physik sein können.

Für ihre wissenschaftliche Leistung wurde Frau Elfner mehrfach mit renommierten Preisen ausgezeichnet, darunter kürzlich als „Scientist of the Year“ der Alfons und Gertrud Kassel-Stiftung sowie 2016 mit dem Heinz-Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Ihre außergewöhnliche Leistung und ihr hohes Engagement hat nun das FIAS mit der Ernennung zum Senior Fellow unterstrichen.

Der Stiftungsrat berief sie einstimmig in die Reihen der FIAS Faculty. „Ich freue mich über die Ernennung“, so die gebürtige Frankfurterin – „und dass ich weiterhin am FIAS und seiner Gestaltung mitwirken kann“. FIAS-Direktor Elsen ergänzt: „Mit dieser Berufung wird die theoretische Beschreibung der Wechselwirkung von Kernbausteinen auch zukünftig kompetent und prominent am FIAS vertreten sein“.

Die Erforschung der Welt im Kleinen wird Hannah Elfner auch in Zukunft nicht loslassen: „Ein besseres Verständnis des Übergangs von Protonen/Neutronen zum Quark-Gluon-Plasma bei hohen Dichten wäre großartig“. Im Fokus steht künftig zudem ein kleiner Mensch: In diesen Tagen beginnt Frau Elfners Mutterschutz und damit zeitnah zur Senior-Auszeichnung auch ein Junior-Leben.


Kontakt
Prof. Dr. Hannah Elfner
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Ruth-Moufang-Straße 1
60438 Frankfurt am Main

Tel.: +49 69 798 47652

eMail: elfner@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/theoretische-naturwissenschaften/gruppen/hannah-elfner-petersen/

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Extrem dichte Masse – Ein Blick in das Innere von Neutronensternen

Neutronensterne

Neutronensterne sind in ihrem Inneren extrem dicht: Ihre Masse entspricht dem doppelten der Sonne – und das bei einer Größe etwa der Stadt Frankfurt (Radius: 10-14 km). Daher dienen diese kompakten Objekte als einzigartige Beispiele zur Untersuchung der Eigenschaften dichter Materie. Eine Arbeitsgruppe am FIAS* setzte jetzt Deep-Learning-Techniken* ein, um neue Erkenntnisse über das Innere der Sterne zu gewinnen.

Ist der innere Druck der Materie bei einer bestimmten Dichte (die Zustandsgleichung) gegeben, besteht eine eindeutige Beziehung zwischen der Masse und dem Radius eines Neutronensterns. Daher ist es umgekehrt möglich, die unbekannte Zustandsgleichung aus den Masse-Radius-Beobachtungen von Neutronensternen abzuleiten.

Die FIAS-Gruppe entwickelte einen Deep-Learning-Algorithmus, der Neutronenstern-Beobachtungsdaten nutzt, um die zugrundeliegende Zustandsgleichung zu rekonstruieren. Dies ermöglicht eine umfassende Charakterisierung der Gleichung, da neuronale Netze komplexe nichtlineare Wechselbeziehungen in Daten erfassen können. Während herkömmliche Ansätze zur Rekonstruktion der Zustandsgleichung in der Vergangenheit einen bestimmten Algorithmus, (die Bayes’sche Inferenz), beinhalteten, nutzen neuere Versuche die überwachte maschinelle Lerninferenz*.

In ihrer Arbeit stellen die Forschenden jedoch einen neuartigen, auf Physik basierenden Deep-Learning-Ansatz vor. Er besteht aus einem unbeaufsichtigten, selbständigen Lernalgorithmus im Zuge der automatischen Differenzierung. Die vorgeschlagene Methode wurde an Versuchsdaten getestet und ist in Bezug auf die Berechnungseffizienz bisherigen Algorithmen überlegen.

Mit diesem neu entwickelten Algorithmus rekonstruieren sie die Zustandsgleichung von Neutronensternen aus den bisher verfügbaren begrenzten Daten. „So verstehen wir, wie sich Materie bei extrem hoher Dichte verhält“, erklärt Erstautorin Shriya Soma (26), Doktorandin am FIAS. „Wir bekommen eine Vorstellung dieser starken Wechselwirkung, eine der grundlegenden Kräfte in der Physik“.

Das moderne NASA-Teleskop NICER* auf der Internationalen Raumstation ISS soll auf der aktuellen Mission helfen, die bislang großen Unsicherheiten bei der Messung der Radien künftig zu verringern. Zusätzliche Daten von Teleskopen der nächsten Generation und von Gravitationswellendetektoren bieten die Möglichkeit einer genauen Rekonstruktion der Zustandsgleichung und damit unseres Verständnisses des Verhaltens von Materie bei extremen Dichten. Bis dahin liefern Berechnungen wie in den Veröffentlichungen von Frau Shriya Soma (und anderen Autoren) eine geeignete Näherung.


Abbildung
Neutronensterne stellen die dichteste Form von Materie dar: die doppelte Masse der Sonne in einem kugelförmigen Volumen von einigen Kilometern Radius (links). Mit Hilfe neuronaler Netze (rechts oben) entwickelte die Gruppe am FIAS einen Algorithmus, der die makroskopischen Eigenschaften von Neutronensternen (insbesondere die Massen und Radien) nutzt, um die entsprechenden mikroskopischen Größen, also die zugrunde liegende Zustandsgleichung, zu erhalten (rechts unten). Grafik: Shriya Soma.

*Abkürzungen/Erläuterungen
FIAS = Frankfurt Institute for Advanced Studies
NICER = Neutron Star Interior Composition ExploreR

Deep Learning
Deep Learning (tiefes Lernen) ist ein Teilgebiet von maschinellem Lernen, welches sich auf künstliche neuronale Netze und große Datenmengen konzentriert. Es wird dazu genutzt, Bilder zu erkennen, Texte zu verstehen und Entscheidungen genauer zu tätigen.
Inferenz
Aufbereitetes Wissen, das aufgrund von logischen Schlussfolgerungen gewonnen wurde.

Publikationen:

  1. Shriya Soma, Lingxiao Wang, Shuzhe Shi, Horst Stöcker, Kai Zhou, Neural network reconstruction of the dense matter equation of state from neutron star observables, Journal of Cosmology and Astroparticle Physics, Volume 2022, August 2022, IOP Publishing Ltd and Sissa Medialab, https://doi.org/10.1088/1475-7516/2022/08/071
  2. Shriya Soma, Lingxiao Wang, Shuzhe Shi, Horst Stöcker, Kai Zhou, Reconstructing the neutron star equation of state from observational data via automatic differentiation, arXiv:2209.08883 [astro-ph.HE], September 2022, https://doi.org/10.48550/arXiv.2209.08883
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Frühzeitige Erdbebenwarnung dank »Künstlicher Intelligenz«

Projekt CREIME

Ein deutlich verbessertes Modell für eine frühere Erdbebenvorhersage beschreibt eine Arbeitsgruppe am FIAS* in zwei aktuellen Veröffentlichungen. Es präzisiert und beschleunigt die zuverlässige Einschätzung von Erdbeben, was insbesondere Vorwarnungen in weniger entwickelten Weltregionen erleichtert.

Grundlage des auf Deep Learning* basierenden Modells des Teams um Frau Nishtha Srivastava sind Schwingungen, die – verglichen mit den nachfolgenden, verheerenderen Wellen – besonders schnell über die Erdschichten übertragen werden. Diese P-Wellen* eilen den eigentlichen Erschütterungen voraus – je nach Entfernung von der Quelle des Bebens um Sekunden oder Minuten. „Dieser kurze Zeitvorsprung kann reichen, um sich in Sicherheit zu bringen“, betont Frau Srivastava. Die nachfolgenden S-Wellen* und Oberflächenwellen sind höher, gefährlicher und verursachen größere Schäden.

Das von den Wissenschaftlern entwickelte Modell CREIME* erfüllt drei Aufgaben: Es erkennt die frühen P-Wellen*, kann Hintergrundschwingungen unterscheiden und sogar die Stärke des folgenden Bebens vorhersagen. „Bisher ist für eine zuverlässige Vorhersage ein Netzwerk von Messstationen notwendig“, erklärt Frau Megha Chakraborty (25), FIAS-Doktorandin und Erstautorin beider Publikationen. „Für unser Modell reicht eine Station, um vor Erdbeben in einer Entfernung von etwa 350 Kilometern zu warnen“.

Bestehende Methoden erfordern oft ein hohes Maß an Personalaufwand und Erfahrung. Zudem sind sie sehr empfindlich gegenüber Hintergrundschwingungen. CREIME* differenziert zwischen seismischen Ereignissen und Störungen mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 98 %.

CREIME liefert innerhalb von 2 Sekunden nach dem Eintreffen der ersten P-Welle eine erste Schätzung der Erdbebenstärke. Das zeigen die Autorinnen mit zwei unabhängigen Datensätzen aus Italien und der ganzen Welt. „Unsere Vorhersagegenauigkeit übertrifft klassische Modelle, da es 10 % mehr Ereignisse erkennt“, so Srivastava. Mit einem Deep-Learning-Ansatz lernt das System zudem ständig hinzu. Ein weiteres System, PolarCAP*, identifiziert automatisch die vertikale Richtung der ersten Bewegung während eines Erdbebens, was für die Einschätzung des zugrunde liegenden Bebens wichtig ist.

Das Team will die CREIME*- und PolarCAP*-Prototypen nun in Echtzeit testen. „In Regionen wie Südkalifornien oder Indonesien, wo die Epizentren sehr nahe an menschlichen Siedlungen liegen, könnte eine App, die auf unserem Modell basiert, die Menschen in Zukunft früh genug warnen, damit sie Schutz suchen können“, hofft Frau Chakraborty.


Bild
Das CREIME-Modell verarbeitet 5-Sekunden-Fenster, um ein Erdbeben zu erkennen. Innerhalb von Sekunden nach dem Eintreffen der P-Welle gibt es eine Warnung aus, damit gefährdete Personen rechtzeitig Schutz suchen können, bevor die gefährlichen S-/Oberflächenwellen eintreffen. Bild von Megha Chakraborty, FIAS

*Abkürzungen/Erläuterungen
FIAS = Frankfurt Institute for Advanced Studies
P-Wellen = Primärwellen
S-Wellen = Sekundärwellen
CREIME = Convolutional Recurrent Model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation
PolarCAP = A deep learning approach for first motion polarity classification of earthquake waveforms (Mehr Info)

Deep Learning
Deep Learning (tiefes Lernen) ist ein Teilgebiet von maschinellem Lernen, welches sich auf künstliche neuronale Netze und große Datenmengen konzentriert. Es wird dazu genutzt, Bilder zu erkennen, Texte zu verstehen und Entscheidungen genauer zu tätigen.

 

Publikationen:

  • Chakraborty, M., Fenner, D., Li, W., Faber, J., Zhou, K., Rümpker, G., et al. (2022). CREIME—A Convolutional Recurrent model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation. Journal of Geophysical Research: Solid Earth, 127, e2022JB024595. https://doi.org/10.1029/2022JB024595
  • Megha Chakraborty, Claudia Quinteros Cartaya, Wei Li, Johannes Faber, Georg Rümpker, Horst Stoecker, Nishtha Srivastava, PolarCAP – A deep learning approach for first motion polarity classification of earthquake waveforms, Artificial Intelligence in Geosciences (2022) 3, 46-52, ISSN 2666-5441, https://doi.org/10.1016/j.aiig.2022.08.001
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Neue Bindestelle an Zellmembran identifiziert

Tubby-Protein

Die Wechselwirkungen von Eiweißen (Proteinen) und Fetten (Lipiden) in Membranen untersucht ein Team um Sebastian Thallmair am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) mit Hilfe von Modellrechnungen. Im fassförmigen Tubby-Protein fanden sie so eine bislang unbekannte Bindungsstelle, die zur Aufklärung verschiedener Krankheitsbilder beitragen könnte.

Funktioniert das Tubby-Protein in unseren Zellen nicht, werden Störungen im Energiehaushalt, Fettleibigkeit, Abbau der Netzhaut und Gehörverlust beobachtet. Die genauen Hintergründe für diese Fehlfunktionen sind unklar, daher sind Erkenntnisse zur Funktionsweise von Tubby wichtig.

Die Familie der Tubby-Proteine spielt eine wichtige Rolle für den Transport von Proteinen in der Zellmembran. In einer genau passenden „Tasche“ binden sie Rezeptorproteine und schleusen diese in feine Härchen, die primären Zilien. Diese Zilien fungieren als Antennen, die Signale außerhalb der Zelle erkennen und ins Zellinnere weiterleiten. Ist ihre Funktion und damit die Signalweiterleitung gestört, können Krankheiten auftreten (Ziliopathien).

Damit Tubby funktioniert, muss es an die Innenseite der Membran andocken, und zwar über ein spezifisches Fettmolekül (PI(4,5)P2), das ausschließlich in der Zellmembran vorkommt. Das Team um FIAS-Fellow Dr. Sebastian Thallmair sowie Prof. Dr. Dominik Oliver (Universität Marburg) und Prof. Dr. Siewert-Jan Marrink (Universität Groningen, Niederlande) untersuchte den Bindungsmechanismus von Tubby an dieses Signallipid genauer. In ihrer aktuellen Veröffentlichung beschreiben sie eine bisher unbekannte Bindestelle des Tubby-Proteins.

„Mit computergestützten Berechnungen identifizierten wir eine zweite Bindungstasche für das Signallipid, neben der bereits bekannten“, so Thallmair. Grundlage für diese Modellrechnungen sind die bekannte Protein-Struktur sowie Informationen zu chemischen und physikalischen Bindungsvorlieben oder Abstoßungsreaktionen einzelner Atomgruppen.

Darüber hinaus zeigte das Team, dass beide Bindestellen kooperieren. „Das bedeutet, dass erstaunlicherweise zwei gebundene Signallipide mehr als doppelt so stark wirken wie nur ein gebundenes Signallipid“, erklärt Thallmair.

Fluoreszenzmarkiertes Tubby-Protein wird auch als Marker verwendet, um Rückschlüsse auf die Lipid-Konzentration verschiedener Membranbereiche zu erhalten. „Wir wollen beispielsweise verstehen, wie das Signallipid – nachdem es abgebaut wurde – wieder synthetisiert wird“, so Thallmair. „Denn es wird offensichtlich nur in bestimmten, eng begrenzten Bereichen der Zellmembran synthetisiert“. Tubby soll dabei helfen, diese Bereiche zu identifizieren.


Publikation: Veronika Thallmair, Lea Schultz, Wencai Zhao, Siewert Jan Marrink, Dominik Oliver, Sebastian Thallmair, Two cooperative binding sites sensitize PI(4,5)P2 recognition by the tubby domain, Sci. Adv. 8, eabp9471 (2022). DOI: 10.1126/sciadv.abp9471

Abbildung: Tubby-Protein (rot) auf einer Lipidmembran (gelb) mit einem PI(4,5)P2-Signallipid (violett) in der bekannten Bindetasche. Die Aminosäuren der Bindetasche sind in cyan dargestellt, das Wasser als transparente blaue Oberfläche. © V. Thallmair et al., Sci. Adv. 8, eabp9471, 2022

Kontakt
Dr. Sebastian Thallmair
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Ruth-Moufang-Straße 1
60438 Frankfurt am Main
Tel.: +49 69 798 47658
E-Mail: thallmair@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/lebens-und-neurowissenschaften/gruppen/sebastian-thallmair/

Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

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Vulkanische Aktivitäten messen

Vulkanische Aktivitäten

Ein 20-jähriger Bachelorstudent am „Frankfurt Institute for Advanced Studies“ (FIAS) am Riedberg hat ein effektives Verfahren entwickelt, um vulkanische Erschütterungen am Beispiel des italienischen Vulkans Stromboli schnell zu erkennen.

Dazu erstellte die FIAS-Gruppe „Seismologie und Künstliche Intelligenz“ einen umfassenden Katalog dieser Ereignisse, der nicht nur die Bewertung der vulkanischen Gefahren, sondern auch die eingehende Untersuchung möglicher Vorläufer großer Ausbrüche auf der Grundlage historischer Daten ermöglicht.

Um vulkanische Aktivitäten zu verstehen und vorherzusehen, werden weltweit Daten zu ihren Aktivitäten gesammelt. Das ist besonders aufwendig für Vulkane vom Typ Stromboli, für die regelmäßige leichte Eruptionen charakteristisch sind. Es kann jedoch auch zu gefährlichen großen Explosionen kommen. So brach der Stromboli zuletzt 2019 heftig aus, was zu einer kilometerhohen Asche-Gas-Wolke und einem Todesopfer führte.

Für die detaillierte Analyse dieser Vulkane werden aufwendig gesammelte Datensätze mit Informationen über vulkanische Erdbeben-Ereignisse benötigt. Diese Daten werden von Computerprogrammen analysiert (Deep-Learning). Vulkane werden weltweit überwacht und analysiert, was allerdings noch viel „Handarbeit“ erfordert.

Um seismische Daten automatisch zu analysieren und zu identifizieren, entwickelte Darius Fenner aus dem FIAS-Forschungsteam von Nishtha Srivastava in Zusammenarbeit mit Georg Rümpker und Horst Stöcker das „Adaptive-Window Volcanic Event Selection Analysis Module“ (AWESAM).

Diese exakte Schritt-für-Schritt-Anleitung für Computer – verwendet unbearbeitete seismische Rohdaten (Erdbeben), um Zeitabstände und Amplituden (Intensitäten) genauer zu messen. Ein spezieller Filter ermöglicht es, sowohl seltene heftige als auch regelmäßige kleine Ereignisse zu registrieren. In einem zweiten Schritt werden diese Messungen mit einer weiteren Station abgeglichen, um lokale Störfaktoren auszuschließen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BmBF) fördert Srivastavas Forschungsteam im Rahmen des Programms „Förderung des weiblichen Nachwuchses“ mit mehr als 1,6 Millionen Euro. Die Gruppe wendet Methoden der künstlichen Intelligenz auf seismische Signale an, um Erdbebenfrühwarnsysteme (EEWs) und die seismische Signalanalyse zu verbessern. Außerdem wollen sie die mit der Freisetzung seismischer Spannungen verbundenen Muster besser verstehen.


Publikation
Darius Fenner, Georg Rümpker, Wei Li, Megha Chakraborty, Johannes Faber, Jonas Köhler, Horst Stöcker and Nishtha Srivastava, Automated Seismo-Volcanic Event Detection Applied to Stromboli (Italy), Front. Earth Sci. 10:809037, doi: 10.3389/feart.2022.809037, https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/feart.2022.809037/full

Weitere Informationen
https://www.youtube.com/watch?v=8e-mzhxX3zc

Kontakt
Dr. Nishtha Srivastava
Theoretische Naturwissenschaften
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47618
eMail: srivastava@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/theoretische-naturwissenschaften/gruppen/nishtha-srivastava

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