Schlagwort: Grippe

Verlauf von Grippe-Infektionen vorhersagen

Grippe Infektion und Künstliche Intelligenz

Wenige Tropfen Blut könnten ausreichen, um den Verlauf einer Grippeerkrankung vorherzusagen. Das legt eine Studie des Teams um Esteban Hernandez-Vargas am Frankfurt Institute for Advanced Sciences (FIAS) nahe, gemeinsam mit Infektiologen des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und dem Universitätsklinikum Magdeburg.

An echter Grippe (Influenza) erkranken jedes Jahr weltweit bis zu 5 Millionen Menschen. Viele von ihnen sterben. Daher ist es wichtig, die Viruslast in der Lunge und die Immunreaktionen der Patienten auf das Virus im Auge zu behalten.

Herkömmliche Methoden nutzen beispielsweise die Bestimmung viraler Antigene1 oder von Entzündungsmarkern aus Abstrichen der Atemwege. Sie sind nicht sehr empfindlich, dafür aber recht aufwendig.

Die größte Hürde ist die Probenahme in der Lunge, die für akut infizierte Patienten riskant ist. Eine nicht-invasive Methode2 zur Vorhersage des Verlaufs einer Grippe wäre daher eine Erleichterung. Ein Ansatzpunkt ist die veränderte Zusammensetzung von Blutzellen im Verlauf der Grippeerkrankung. Solche Blutwerte sind einfach und schnell zu gewinnen und bereits Routine in der Diagnose und Patientenversorgung.

Die Gruppe von Hernandez-Vargas setzte nun verschiedene Machine-Learning-Modelle3 ein, um diagnostische Daten aus Blut- und Lungen-Proben zu bewerten, die im Verlauf einer Grippeinfektion in Mäusen gewonnen wurden. Sie nutzten Machine-Learning-Algorithmen, die mehrere Schichten an Informationen verarbeiten können.

So können sie die Viruslast und die Immunreaktion in der Lunge (Zytokine4 und Leukozyten5) aus Blutwerten vorhersagen. Umfangreiche Daten für das Training und die anschließende praktische Überprüfung der Modelle stammen aus Infektionsexperimenten in Mäusen am HZI.

„Wir konnten zudem zeigen, dass bestimmte weiße Blutkörperchen (neutrophile Granulozyten) sowie Blutplättchen (Thrombozyten) eine entscheidende Rolle bei der Vorhersage des Infektionsverlaufs in der Lunge spielen und stark an der Immunantwort gegen Grippeviren beteiligt sind“, erklärt Herr Dr. Esteban Hernandez-Vargas.

Die Methode ebnet den Weg zur besseren klinischen Überwachung von Grippe-Infektionen und möglicherweise auch anderen Atemwegsinfektionen auf der Grundlage von Blutwerten. „Eines Tages sind diese Vorhersagen hoffentlich präzise genug für eine wertvolle Hilfestellung zur weiteren Behandlung von Patienten“, so FIAS-Doktorand Suneet Jhutty, einer der beiden Erstautoren der Studie.

Künftig könnte möglicherweise jedes Routine-Blutbild auch eine Einschätzung zum Zustand in der Lunge und damit Hinweise auf den Verlauf von Infektionskrankheiten liefern.

Die Studie lässt sich noch nicht vollständig auf den Menschen übertragen, etwa weil anders als im zugrunde liegenden Tierversuch Menschen sich mehr als einmal mit Grippe infizieren können, was den Verlauf der Infektion und die Immunantwort auf das Grippevirus erheblich beeinflusst. Weitere Studien sollen klären, wie im Modell die genetische Vielfalt der Patienten nachgeahmt werden kann.

Jüngste Untersuchungen des Teams weisen darauf hin, dass auch die Diagnose von COVID-19 aus dem Blut möglich sein könnte.


1 Das Virus wird anhand bestimmter Eiweiße (sog. Antigene) nachgewiesen. Die Funktionsweise eines Antigen-Tests ist ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest.

2 Mit „nicht invasiv“ sind Untersuchungen und Behandlungen gemeint, bei denen kein Gewebe verletzt wird und die nötigen Instrumente nicht in den Körper eingeführt werden.

3 Machine Learning (Maschinelles Lernen) ist eine Anwendung der künstlichen Intelligenz (KI). IT-Systeme lernen automatisch Muster und Zusammenhänge aus Daten und verbessern sich, ohne explizit programmiert zu sein. Ein Machine Learning-Modell ist eine Datei, die darauf trainiert wurde, bestimmte Arten von Mustern zu erkennen. Sie trainieren ein Modell anhand von Daten, indem Sie einen Algorithmus bereitstellen, mit dem diese Daten analysiert und zum Lernen verwendet werden können.

4 Zytokine, sind körpereigene Eiweiße, die sich für einen wesentlichen Teil der Zellsteuerung verantwortlich zeigen. Die Tragweite ihres Potenzials steht bis heute nicht fest.

5 Leukozyten sind Blutzellen, die im Gegensatz zu roten Blutkörperchen (Erythrozyten) keinen roten Blutfarbstoff enthalten. Sie erscheinen deshalb „weiß“ beziehungsweise farbarm. Man nennt sie daher auch weiße Blutkörperchen. Die Hauptaufgabe der Leukozyten ist die Abwehr von Krankheitserregern.


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mithilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

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