Therapie mit Harry-Potter-Effekt

Von Eva Maria Koch

Corona kam und ich stand, wie viele andere, vor der Herausforderung, meinen Arbeitsalltag flexibel umzugestalten. Normalerweise arbeite ich als Logopädin und klinische Lerntherapeutin in meiner Praxis – was plötzlich nicht mehr möglich war.

Schnell kam die Idee, mit den älteren Schulkindern Videotherapien durchzuführen. Nur leider war ich auf diesem Gebiet völlig unerfahren. Also schnell eine geeignete Plattform finden und rein ins kalte Wasser springen!

Was ich dann erlebt habe und immer noch erlebe, ist einfach herrlich. Und sehr lehrreich. Die Kinder gehen so kreativ mit den Möglichkeiten der Technik um, dass ich fast täglich in Staunen versetzt werde. Alles fing damit an, dass ich Victor (alle Namen geändert) sagte, er solle bestimmte Wörter auf ein Blatt schreiben und das Blatt dann zur Kontrolle in die Kamera halten. Er schaute mich ungläubig an, blendete sein Whiteboard ein und schrieb direkt die Wörter mit der Maus auf das Board und hatte einen Heidenspaß, in mein verblüfftes Gesicht zu schauen. Ok, dachte ich, so geht das auch! Hatte ich schon erwähnt, dass ich eine totale Technik-Niete bin?

Logopädin setzt Corona-bedingt auf Videotherapie – und ist immer wieder begeistert vom Engagement und der Kreativität der Kinder  Foto: privat

In der Therapie mit Anton  hatte ich dann bereits stolz entdeckt, dass ich auch mit einem Chat arbeiten kann und die Kinder die von mir diktierten Wörter und Sätze direkt in den Chat schreiben können. Anton hat eine schwere Lese-Rechtschreib-Störung und die meisten Wörter sind in der Regel von Fehlern durchzogen. Diesmal war es allerdings anders und ich wunderte mich, dass die meisten Wörter richtig geschrieben waren. Irgendwann fiel mir auf, dass er den Bildschirm etwas nach oben gekippt hatte und sein Mund dadurch nicht mehr sichtbar war. Außerdem hörte ich keine Hintergrundgeräusche mehr…

Ich fragte ihn daraufhin, ob er das Mikrophon ausgemacht habe und der Schelm fing direkt an zu grinsen. Erst dann zählte ich eins und eins zusammen und kam dahinter, dass er die Wörter per Spracheingabe dem PC diktiert hatte. 

Wir zwei lachten zusammen und anstatt ihn zu rügen, entschied ich mich dafür, ihn für diese kreative Art mit seiner LRS umzugehen und die Möglichkeiten der Technik zu nutzen, zu loben.

Magnus setze meinem Erstauen allerdings die Krone auf. Er hatte vor der Videotherapie ein Video von sich gemacht, wie er denkend vor dem PC sitzt. Während unserer Onlinetherapie schaltete er kurz die Kamera aus und sagte mir, er müsse nur kurz etwas einstellen. Als die Kamera wieder eingeschaltet wurde, saß Magnus wieder vor dem PC und dachte scheinbar nach. In Wirklichkeit lief aber nur sein Video ab und er hatte sich vom PC entfernt. Er löste es natürlich schnell auf und wieder musste ich ehrlich lachen. Es erinnerte mich an einen Harry-Potter-Film, in dem sich Harry verdoppelte, um somit an zwei Stellen gleichzeitig sein zu können…

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir genau diese Kreativität und Fantasie bei unseren Kindern fördern sollten. Denn dann können sie mit den technischen Möglichkeiten jonglieren und Großartiges auf die Beine stellen. Zeitgleich heben sie sich genau dadurch von einem Computer ab. Denn Kreativität und Fantasie sind durch eine Maschine nicht zu ersetzen. 

Vielen Dank an all meine Video-Therapiekinder, die mich täglich zum Lachen bringen und mir zeigen, wie toll unsere technischen Möglichkeiten zu nutzen sind!

Eva Maria Koch ist Kinder-Logopädin und Expertin für klinische Lerntherapie. Ihre Praxis ist in Frankfurt-Riedberg

Fotos: privat

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