Schlagwort: FIAS

Energiesparwunder Gehirn: KI lernt von der Natur

Bild vom Gehirn

Unser Gehirn ist ein Meister der Energieeffizienz: Mit nur 20 Watt Leistung – vergleichbar mit einem modernen Kühlschrank – bewältigt es Billionen Rechenoperationen pro Sekunde. Können diese Tricks der Evolution helfen, künstliche Intelligenz (KI) stromsparender zu machen? Ein internationales Forschungsteam des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) präsentiert in Nature Communications einen revolutionären Ansatz.

Das menschliche Gehirn ist ein Meister im Energiesparen: Nur etwa 20 Watt – etwa so viel wie ein moderner Gefrierschrank – benötigt es, um Trillionen von Rechenoperationen pro Sekunde auszuführen. Können solche Erkenntnisse zu einer neuen Generation energieeffizienterer KI beitragen?

Gehirn versus KI: Zwei Welten treffen aufeinander

Während KI-Systeme mit kontinuierlichen Aktivitätsmustern arbeiten, nutzt das Gehirn präzise elektrische Impulse (Aktionspotentiale). Zudem filtert es vorhersagbare Informationen heraus – ein Prinzip namens prädiktives Kodieren. Diese Doppelstrategie spart Energie, war aber bisher technisch nicht nachbildbar.

FIAS-Gehirnenergie

Abb.: Das Gehirn benötigt nur einen Bruchteil der Energie moderner KI-Systeme
Bild: Kohji Asakawa / Pixabay 

Predictive Coding Light: Die energiesparende Alternative

Das Team um FIAS-Forscher Jochen Triesch entwickelte »Predictive Coding Light« – ein Modell, das hemmende Synapsen gezielt zur Unterdrückung vorhersagbarer Signale einsetzt. Diese „intelligenten Bremsen“ reduzieren den Datenstrom, ohne wichtige Informationen zu verlieren.

Schlüsselmechanismen:

  • Selektive Filterung: Hemmende Synapsen blockieren redundante Signale
  • Komprimierte Daten: Statt Fehlermeldungen werden essentielle Informationen weitergeleitet
  • Lernfähigkeit: Das System optimiert sich selbstständig durch Erfahrung

Praxistest: Vom Labor zur Anwendung

In Simulationen zeigte das Modell verblüffende Parallelen zum visuellen Kortex von Säugetieren. Gleichzeitig bewährte es sich bei praktischen Aufgaben wie Handschrifterkennung und Gestenanalyse.

„Unsere Ergebnisse zeigen: Hemmende Synapsen sind keine einfachen Bremsen, sondern aktive Informationsmanager“, erklärt Triesch. „Sie könnten der Schlüssel zu echtem neuroinspiriertem Computing sein.“

Die Forscher vermuten, dass hemmende Synapsen eine zentrale Rolle dabei spielen, wie das Gehirn lernt, sensorische Informationen energiesparend zu kodieren und zu verarbeiten.

Der Weg in die Technik

Trotz der Erfolge warnen die Forscher vor zu frühem Optimismus: Aktuelle KI-Chips arbeiten fundamental anders als biologische Nervennetze. Erste neuromorphe Chips zeigen jedoch Potenzial. „Es ist ein Marathon, kein Sprint“, so Triesch. „Aber jedes Prozent Energieersparnis zählt.“ Bis diese Erkenntnisse ihren Weg in unsere Smartphones finden, könnte aber noch etwas Zeit vergehen.

Bisher ist es nur eine kleine, aber schnell wachsende Gruppe von Forschenden, die die Entwicklung von neuromorphen, also dem Gehirn nachempfundenen Chips vorantreibt, um KI energieeffizienter zu machen.


Publikation:
Antony W. N’dri, Thomas Barbier, Celine Teuliere, Jochen Triesch: Predictive Coding Light, Nature Communications (online 06.10.2025), https://doi.org/10.1038/s41467-025-64234-z

Kontakt
Prof. Dr. Jochen Triesch
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69-798-47531
eMail: triesch@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/lebens-und-neurowissenschaften/gruppen/jochen-triesch/


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

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Sehen lernen ist Teamarbeit

Sehenlernen - Abbildung eines kunstvollen Auges

Internationales Forschungsteam untersucht das Sehen als Abstimmung vernetzter Neuronen.

Eine Studie von Forschenden des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und internationaler Partner zeigt, wie das Gehirn nach dem Augenöffnen lernt, visuelle Reize zuverlässig zu verarbeiten. Durch Erfahrung werden Eingangssignale präziser und stimmen sich zunehmend mit vernetzten Schaltkreisen ab. Ein Prozess, der eindeutige Seheindrücke erst ermöglicht. Diese Kenntnisse können Künstliche Intelligenz (KI) und Therapien verbessern.

Wie das Gehirn lernt, die Welt zu sehen, war lange ein Rätsel. Frühere Studien deuteten darauf hin, dass die neuronalen Antworten bei Augenöffnung noch unreif und unkoordiniert sind. Die neue Arbeit von Forschenden am Max-Planck-Florida-Institut für Neurowissenschaften (MPFI) in enger Zusammenarbeit mit dem FIAS zeigt ein anderes Bild: Visuelle Erfahrung schärft nicht nur die eingehenden Signale, sondern stimmt sie auch präzise mit den vernetzten Schaltkreisen ab. So entsteht aus anfänglich variablen Mustern eine stabile, zeitlich kohärente Abbildung der visuellen Welt.

Das Team in Jupiter, Florida verfolgt diese Abstimmung in Frettchen – ideal, weil diese ihre Augen erst Wochen nach der Geburt öffnen. So lässt sich gezielt beobachten, wie visuelle Erfahrung die Entwicklung neuronaler Schaltkreise beeinflusst. Mit einer einzigartigen Kombination aus verschiedenen modernen Methoden simultaner Elektrophysiologie, Kalzium-Imaging und Zell-Ableitungen – erfassen sie die Aktivität einzelner Neuronen und ganzer Netzwerke gleichzeitig.

Diese Kombination erlaubt es erstmals, die Aktivität einzelner Neuronen direkt mit den Aktivitätsmustern des Gehirns zu verknüpfen – ein Blick aus verschiedenen Winkeln auf die Entwicklung. Darauf basierend entwickelten Forschende aus der Gruppe von FIAS-Senior-Fellow Matthias Kaschube ein Computermodell, das die unterschiedlichen Beiträge der biologischen Prozesse entwirrt: Nur wenn sich im Laufe der Zeit sowohl die Präzision der Eingangssignale als auch ihre Abstimmung mit den vernetzten Netzwerken verbessern, entstehen eindeutige Seheindrücke. Diese methodische Breite – möglich durch die bewährte internationale Zusammenarbeit – erlaubt es, vom einzelnen Neuron bis zum Netzwerk und über verschiedene Schichten der Hirnrinde hinweg ein konsistentes Bild der Reifung zu zeichnen.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn beim Sehenlernen nicht einfach nur vorhandene Strukturen verfeinert“, sagt FIAS-Doktorandin Sigrid Trägenap, die das Modell mit entwickelt, „sondern es passt seine internen Netzwerke aktiv an die Welt an, die es wahrnimmt“. Damit demonstriert es eine Anpassungsfähigkeit, die zu den größten Stärken unseres Denkorgans zählt und künstliche Intelligenz bislang in den Schatten stellt.

Die Forschenden vermuten, dass die Entwicklung dieses Zusammenspiels ein Grundprinzip des Gehirns ist – weit über das visuelle System hinaus. Dies könnte erklären, wie das Gehirn in unterschiedlichen Sinnesbereichen und kognitiven Funktionen präzise und flexibel arbeitet. Das eröffnet neben neuen Perspektiven für die Grundlagenforschung auch Chancen für Anwendungen in der KI, die vom Gehirn durchaus noch lernen kann. Zudem sind die Erkenntnisse nützlich in der medizinischen Therapie, beispielsweise bei der Rehabilitation von Gehirnausfällen nach Schlaganfällen.


Kontakt:
Sigrid Trägenap
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47501
eMail: traegenap@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/lebens-und-neurowissenschaften/gruppen/matthias-kaschube/


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. (https://fias.institute/)

Die Stiftung Giersch fördert Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie medizinische Projekte unter dem Motto „die Zukunft fördern“. Der Frankfurter Unternehmer, Senator E.h. Prof. h.c. Carlo Giersch und seine Frau Karin Giersch knüpfen damit an die stolze bürgerliche Stiftertradition ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main und der Region an. Sie unterstützen die Forschung am FIAS seit vielen Jahren.


Publikation:
Augusto Abel Lempel, Sigrid Trägenap, Clara Tepohl, Matthias Kaschube und David Fitzpatrick. Development of coherent cortical responses reflects increased discriminability of feedforward inputs and their alignment with recurrent circuits. Neuron (2025). https://doi.org/10.1016/j.neuron.2025.08.014

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Nobelpreisträger wird FIAS-Laureatus Vortrag zu winzigen Motoren

Laureatus 2025: Ben L. Feringa

Am 10.09.025 verleiht das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) gemeinsam mit der Stiftung Giersch den Senior Fellow Laureatus Award 2025 an den Nobelpreisträger für Chemie 2016, Prof. Dr. Ben L. Feringa. In seinem Vortrag „The Art of Building Small“ gibt der Preisträger faszinierende Einblicke in seine bahnbrechende Forschung an molekularen Maschinen und Motoren.

Ben L. Feringa ist einer der führenden Chemiker unserer Zeit. Für seine Pionierarbeit an molekularen Maschinen winzigen Motoren im Nanomaßstab erhielt er 2016 den Nobelpreis für Chemie. Seine Forschung prägt das Verständnis dynamischer molekularer Systeme und eröffnet visionäre Anwendungen in Bereichen wie Arzneimitteln, Werkstoffen und künstlichen Organen.

Mit der Auszeichnung FIAS Senior Fellow Laureatus ehrt das FIAS Feringa als international herausragenden Wissenschaftler. Seit 2016 zeichnet das gemeinnützige Stiftungsinstitut Forschende aus, die einen besonderen Beitrag zu den interdisziplinären Schwerpunkten des Instituts leisten. Der Preis wird von der Stiftung Giersch großzügig finanziert, die seit vielen Jahren exzellente Wissenschaft fördert und sich insbesondere für die Sichtbarkeit und den Austausch internationaler Spitzenforschung in Frankfurt engagiert.

Im Rahmen der Preisverleihung hält Feringa einen Vortrag zu The Art of Building Small „Die Kunst, klein zu bauen“ (Vortragssprache: Englisch). Die kreative Kraft der synthetischen Chemie habe unbegrenzte Möglichkeiten eröffnet, weit über das Design der Natur hinaus, so der Preisträger von Arzneimitteln bis hin zu Handy-Displays. Heute verspräche die Nanotechnologie als nächste Revolution, weit über unsere derzeitigen Grenzen hinauszugehen. „Mein Vortrag ist eine Reise in die Welt der molekularen Nanowissenschaft: das Entwerfen winziger molekularer Motoren und Maschinen, deren Größe bei einem Milliardstel Meter liegt“, so Feringa.

Er beschreibt die Synthese und Funktionsweise molekularer Schalter und Motoren sowie Anwendungsbereiche wie intelligente Medikamente, reaktionsfähige Materialien und künstliche Muskeln. In seinem Vortrag erzählt Feringa auch von seinen Entdeckungen und persönlichen Erfahrungen während seiner wissenschaftlichen Laufbahn: „grundlegende Fragen, Zufälle und die Schönheit der Moleküle, die mich auf dieser Reise geleitet haben“.

Ben L. Feringa promovierte an der Universität Groningen (NL) unter der Leitung von Hans Wynberg. Nach seiner Tätigkeit als Forschungschemiker bei Shell wurde er 1988 Professor an der Universität Groningen. 2004 erhielt er den Titel Jacobus H. van’t Hoff Distinguished Professor of Molecular Sciences. Er ist Mitglied zahlreicher renommierter Akademien, darunter die Royal Netherlands Academy of Sciences (ehemals Vizepräsident), Deutsche Akademie Leopoldina, Royal Society (London) und US National Academy of Sciences. Feringa erhielt eine Vielzahl von Preisen, neben dem Nobelpreis für Chemie (2016) den Koerber European Science Award (2003), Spinoza Award (2004) und Chemistry for the Future Solvay Prize (2015).


Veranstaltungsdetails und Anmeldung:
Mittwoch, 10.09.2025, Einlass 16:30 Uhr, Vortrag 17:00 Uhr und Preisverleihung, ab 18:30 Uhr
Empfang
FIAS-Hörsaal (EG), Ruth-Moufang-Straße 1, Frankfurt am Main
Eintritt frei, Anmeldung erbeten unter veranstaltungen@fias.uni-frankfurt.de


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

Die Stiftung Giersch fördert Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur sowie medizinische Projekte unter dem Motto „die Zukunft fördern“. Der Frankfurter Unternehmer, Senator E.h. Prof. h.c. Carlo Giersch und seine Frau Karin Giersch knüpfen damit an die stolze bürgerliche Stiftertradition ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main und der Region an. Sie unterstützen die Forschung am FIAS seit vielen Jahren.

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Nachbarschaftshilfe im Gehirn

Auditory Cortex

Am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) wurde eine bedeutende Entdeckung über die Funktionsweise des Gehirns veröffentlicht. Forschende der Universitätsmedizin Mainz, des FIAS und der Hebrew University in Jerusalem haben herausgefunden, wie sich neuronale Netzwerke im Gehirn reorganisieren können, wenn Nervenzellen verloren gehen.
Diese Erkenntnisse könnten wichtige Impulse für die Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson geben.

Hintergrund

Nervenzellen, auch Neuronen genannt, sind die Grundbausteine des Gehirns. Sie sind entscheidend für alle geistigen und körperlichen Funktionen, wie Denken, Fühlen und Bewegung. Im Laufe des Lebens können Neuronen aus verschiedenen Gründen absterben, etwa durch Alterungsprozesse, Gifte wie Alkohol, Drogen, oder neurodegenerative Erkrankungen.

Im Gegensatz zu anderen Körperorganen, die alte oder beschädigte Zellen regelmäßig ersetzen, ist die Neubildung von Neuronen im Gehirn sehr eingeschränkt. Besonders in der Großhirnrinde, die für komplexe Denkprozesse verantwortlich ist, ist diese Fähigkeit stark limitiert. Dennoch zeigt das Gehirn oft eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Verlust von Nervenzellen.

Die Entdeckung

Um herauszufinden, wie das Gehirn mit dem Verlust von Neuronen umgeht, untersuchte das Forschungsteam neuronale Netzwerke im »Auditorischen Kortex«, der für die Verarbeitung von Geräuschen zuständig ist. Sie entdeckten, dass sich die Aktivitätsmuster im Gehirn bei einem gezielten Verlust von Nervenzellen zunächst destabilisieren. Dies zeigt, dass die neuronalen Netzwerke in einem empfindlichen Gleichgewicht sind.

Bereits nach wenigen Tagen konnten die Forscher beobachten, dass sich ähnliche Aktivitätsmuster neu bildeten. Nervenzellen, die zuvor nicht aktiv waren, übernahmen die Aufgaben der verlorenen Neuronen. Dieser Mechanismus könnte eine wichtige Rolle bei der Kompensation von Nervenzellverlusten im Alter oder bei neurodegenerativen Erkrankungen spielen.

Bedeutung der Forschung

Die Ergebnisse dieser Studie können dazu beitragen, neue Ansätze zur Unterstützung der neuronalen Reorganisation im Gehirn zu entwickeln. Simon Rumpel, Leiter der Arbeitsgruppe »Systemische Neurophysiologie« an der Universitätsmedizin Mainz, betont, dass das Verständnis dieser Mechanismen für die Forschung zu natürlichen Alterungsprozessen und neurodegenerativen Erkrankungen von großer Bedeutung ist.

Die Entdeckung, dass das Gehirn in der Lage ist, sich nach dem Verlust von Nervenzellen neu zu organisieren, ist ein wichtiger Fortschritt im Verständnis der Gehirnfunktion. Diese Erkenntnisse könnten zukünftig helfen, neue Therapien für neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln und die Resilienz des Gehirns zu fördern.


Bildinformation
Mikroskopisches Bild aus dem Bereich des Gehirns einer Maus, der für die Verarbeitung akustischer Reize zuständig ist. Nervenzellen sind grün gefärbt; so kann die neuronale Aktivität gemessen werden. Die Zellkörper sind rot markiert. Der Bildausschnitt entspricht etwa einem Drittel Millimeter. Quelle: © AG Rumpel, Universitätsmedizin Mainz.

Publikation und Kontaktinformationen
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht. Für weitere Informationen stehen folgende Kontakte zur Verfügung:

Prof. Dr. Matthias Kaschube
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47521
eMail: kaschube@fias.uni-frankfurt.de

Dr. Anja Störiko
FIAS-Pressestelle
Tel.: +49 (0)69 798 47507
eMail: stoeriko@fias.uni-frankfurt.de

Frankfurt Institute for Advanced Studies
Das FIAS ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main, die sich mit komplexen naturwissenschaftlichen Themen beschäftigt. Es arbeitet an der Schnittstelle von theoretischen Naturwissenschaften, Computerwissenschaften, KI-Systemen sowie Lebens- und Neurowissenschaften. https://fias.institute/

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Neue Methode zur Analyse von Molekülbewegungen

CryoSBI am FIAS

Am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) wurde eine innovative Methode vorgestellt, die es Wissenschaftlern ermöglicht, die Bewegungen von Molekülen schneller und genauer zu analysieren. Diese Technik wurde von Forschern des FIAS in Zusammenarbeit mit dem New Yorker Flatiron Institute entwickelt. Ziel ist es, ein besseres Verständnis der Funktionen von Biomolekülen wie Proteinen und DNA zu erlangen.

Hintergrund

Biomoleküle sind flexibel und bewegen sich ständig, was für ihre Funktionalität entscheidend ist. Bisher konnten moderne Elektronenmikroskope nur statische Bilder dieser Moleküle aufnehmen, indem sie die Moleküle einfrieren. Diese Bilder sind oft von „Rauschen“ betroffen und die Forscher wissen nicht, von welcher Seite das Molekül aufgenommen ist. Eine neue Methodik hilft, diese Herausforderungen zu überwinden.

Die neue Herngehensweise

Die FIAS-Forscher haben eine Technik entwickelt, die physikbasierte Simulationen und maschinelles Lernen kombiniert. Diese Methode, genannt Cryo-EM simulationsbasierte Inferenz (cryoSBI), ermöglicht es, die Bilder von Molekülen innerhalb von Millisekunden auszuwerten.

Lars Dingeldein, ein Doktorand am FIAS, erklärt, dass man viele Einzelbilder benötigt, um die Bewegung eines Moleküls zu verstehen. Die Wissenschaftler trainierten das KI-System mit Biomolekülen, deren Bewegungsprofile bekannt waren. Sie simulierten den Mikroskopierprozess und erhielten einen Datensatz von künstlichen Bildern. Das KI-System lernte dann, die Struktur eines Biomoleküls anhand dieser Bilder zu erkennen.

Vorteile der neuen Technik

Mit der neuen Methode können Forscher die Struktur und Bewegung von Biomolekülen viel schneller bestimmen. Während es mit herkömmlichen Methoden etwa 15 Sekunden dauert, um die Form eines Proteins aus einem Bild zu bestimmen, geschieht dies mit cryoSBI in nur wenigen Millisekunden.

Das Trainieren des KI-Systems ist zwar aufwändig, aber die Methode ist danach kostengünstiger. Interessierte Anwender können die Technik ab sofort nutzen, um biologische Systeme besser zu verstehen. Dies ist besonders wichtig für medizinische Anwendungen, bei denen es darum geht, die Bewegungen und mögliche Störungen von Biomolekülen zu untersuchen.

Ausblick

Die Forscher planen, die Methode weiter zu optimieren und ihre Anwendung zu verbessern. Prof. Dr. Roberto Covino, Gruppenleiter am FIAS, ist überzeugt, dass diese neue Technik dazu beitragen wird, biologische Systeme schneller und präziser zu verstehen.

Die neue Methode zur Analyse von Molekülbewegungen stellt einen bedeutenden Fortschritt in der biomedizinischen Forschung dar. Sie ermöglicht es Wissenschaftlern, schneller und genauer zu arbeiten, was zu einem besseren Verständnis biologischer Prozesse führt.


Für weitere Informationen stehen folgende Kontakte zur Verfügung
Prof. Dr. Roberto Covino
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47659
eMail: covino@fias.uni-frankfurt.de

Dr. Anja Störiko
FIAS-Pressestelle
Tel.: +49 (0)69 798 47507
eMail: stoeriko@fias.uni-frankfurt.de

Publikation: Lars Dingeldein, David Silva-Sánchez, Luke Evans: Amortized template matching of molecular conformations from cryoelectron microscopy images using simulation-based inference, PNAS 122 (23) e2420158122, https://doi.org/10.1073/pnas.2420158122

Bild/Quelle: Biomoleküle (links) lassen sich im Elektronenmikroskop (2. Bild) darstellen. Daraus lässt sich eine Struktur ableiten (3. Bild), die aber häufig schwer zu interpretieren und fehlerhaft ist. Die neue Methode der FIAS-Forschenden erlaubt, die Bilder innerhalb von Millisekunden auszuwerten und die wahrscheinlichste Struktur und Bewegung zu berechnen (Bild rechts).
Grafik: © Lars Dingeldein.

Frankfurt Institute for Advanced Studies
Das FIAS ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main, die sich mit komplexen naturwissenschaftlichen Themen beschäftigt. Es arbeitet an der Schnittstelle von theoretischen Naturwissenschaften, Computerwissenschaften, KI-Systemen sowie Lebens- und Neurowissenschaften. https://fias.institute/

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Neue Methode zur Beschreibung von Proteinstrukturen verbessert Forschung

Superoxid-Dismutase im Modell

Wissenschaftler am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) haben eine innovative Methode entwickelt, um die Struktur und Flexibilität von Proteinen genauer zu berechnen. Dies könnte bedeutende Fortschritte in der biomedizinischen Forschung ermöglichen.

Was ist neu?

Die internationale Forschungsgruppe unter der Leitung des FIAS-Fellow Dr. Sebastian Thallmair hat einen Weg gefunden, die Berechnungen von Proteinstrukturen effizienter zu gestalten. Bisher war es sehr aufwendig, die genaue Struktur großer Proteine oder Proteinkomplexe zu bestimmen – ein Prozess, der Jahre in Anspruch nehmen konnte. Mit der neuen Methode können die Forscher nun die Flexibilität und mechanischen Eigenschaften von Proteinen besser darstellen, ohne dabei jedes Atom einzeln zu betrachten.

Vorteile der neuen Methode

  • Weniger Rechenaufwand: Anstatt jedes Atom einzeln zu berechnen, werden Atome in Gruppen zusammengefasst. Dadurch reduziert sich der Rechenaufwand erheblich.
  • Bessere Flexibilität: Die Methode ermöglicht es, die Beweglichkeit von Proteinen besser zu beschreiben, was wichtig ist, da Proteine oft ihre Form ändern, um mit anderen Molekülen zu interagieren.
  • Vielfältige Anwendungen: Die Verbesserungen könnten helfen zu verstehen, wie Medikamente an Proteine binden oder wie Mutationen in Proteinen zu Krankheiten führen.

Beispiele aus der Forschung

Die Wissenschaftler haben ihre Methode an verschiedenen Proteinen getestet, darunter:

  • Superoxid-Dismutase: Ein Protein, das mit der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) in Verbindung steht. Die neue Methode zeigt, wie Mutationen die Funktion dieses Proteins beeinträchtigen können.
  • Membranproteine: Diese Proteine sind entscheidend für den Austausch von Informationen zwischen der Zelle und ihrer Umgebung. Die neue Methode beschreibt deren Struktur und Beweglichkeit besser.
  • Spike-Protein des Corona-Virus: Die Forscher konnten zeigen, wie Mutationen in diesem Protein die Interaktion zwischen Virus und Wirt beeinflussen.

Ausblick

Das Team plant, die Methode weiter zu optimieren, um eine noch realistischere Beschreibung der Proteinflexibilität zu ermöglichen. Diese Fortschritte könnten nicht nur die Grundlagenforschung bereichern, sondern auch neue Ansätze für die Entwicklung von Medikamenten bieten.


Kontakt
Dr. Sebastian Thallmair
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47658
eMail: thallmair@fias.uni-frankfurt.de

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Sehen lernen: Eine Mischung aus Vorgabe und Erfahrung

Antwort des Gehirns Augen geschlossen - geöffnet

Internationale Forschung zum „Durchblick“ beweist anpassungsfähiges Gehirn

Das Gehirn ist schon vor dem ersten Augenöffnen gewappnet: Bestimmte Muster sind in der Verschaltung der Neuronen vorgegeben. Aber es bedarf einiger Tage Erfahrung des Sehens, um die Netzwerke so umzustrukturieren, dass ein konstanter Seheindruck entsteht. Das zeigen Forschende des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) zusammen mit Kollegen aus Florida in einer in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie.

Wie Neugeborene das Sehen lernen, ist die zentrale Frage der Forschung von Sigrid Trägenap, Doktorandin in der Gruppe von FIAS-Senior-Fellow Matthias Kaschube. Das Gehirn ist bereits vor Öffnen der Augen vorstrukturiert für Sehreize. Doch was passiert, wenn beim ersten Augenöffnen echte Informationen auf diese Strukturen stoßen? Aus bisherigen Messmethoden schloss man, dass die Antworten des jungen Gehirns erstaunlich schwach und unorganisiert seien. Doch die neuen Untersuchungen am FIAS zeigen, dass die neuronalen Antworten bereits enorm strukturiert sind. Auf neue Reize reagieren sie allerdings erstmal sehr variabel. Es dauert einige Tage, bis der gleiche Reiz eine verlässliche Antwortspur in den Neuronen hinterlässt. Dann erst wird ein Bild „erkannt“.

Wie das Gehirn Seheindrücke sortiert

Wie das Gehirn Seheindrücke sortiert, © Sigrid Trägenap, FIAS

Die Antwort des Gehirns ändert sich, wenn ein Tier, das die Augen bislang geschlossen hatte, nun mehrere Tage die Augen geöffnet hat. Erst nach mehreren Tagen Erfahrung sind die gleichen Neuronen bei wiederholter Präsentation des gleichen Reizes aktiv, eine verlässliche Antwort entsteht und der Reiz wird erkannt. Ein mathematisches Modell beschreibt diesen Vorgang wie in einer Murmelbahn: Werden Murmeln auf eine nicht passende Stelle gesetzt (Verarbeitung der Bildreize), ist unklar, wo sie auf der Bahn (neuronales Netzwerk) landen. Mit Erfahrung verbessert sich dieses Zusammenspiel; Eingabe und Netzwerk koordinieren sich und zuverlässige Antworten entstehen.

Am FIAS wertete Trägenap die Daten aus, die David Whitney aus der Arbeitsgruppe von David Fitzpatrick am Max-Planck-Florida-Institut für Neurowissenschaften in Jupiter (Florida, USA) sammelte. Sie arbeiten mit Frettchen, die erst einen Monat nach der Geburt die anfangs geschlossenen Augen öffnen. Ihnen präsentierten die Forschenden schwarz-weiße Bilder auf Bildschirmen und beobachteten mit Fluoreszenzmikroskopen, welche Neuronen dabei aktiv sind. Die äußerst komplexen Daten wertete Trägenap am FIAS aus und erstellte ein mathematisches Modell, um sie zu beschreiben.

Solange die Augen geschlossen sind, bilden sich nicht-spezifische Muster in der Sehrinde, sodass man nicht auslesen kann, welches Bild präsentiert wurde. Erst mit der Öffnung werden die Reaktionen verlässlich und zeigen eine bevorzugte Aktivität. Aus den Daten und aufwendigen Modellierungen schließt Trägenap, dass die vorstrukturierten neuronalen Netzwerke eine Art „Erwartungshaltung“ haben – die sich aber dann nicht vollständig mit dem tatsächlichen Bildreiz decken. Nach einigen Tagen bildet sich eine Mischform, bei der sich die alte Struktur durch den neuen Impuls verändert: die Neuronenverbindungen arrangieren sich um und passen sich den neuen visuellen Reizen an.

Moderne Sensoren erlauben die Untersuchung der Gehirnfunktionen in kurzen Zeitskalen eines Wimpernschlags und winzigen Abstände, vergleichbar der Dicke einer Frischhaltefolie. „Die dabei gemessenen Muster sind mit dem Auge nicht mehr auszuwerten“, erklärt die Doktorandin die Bedeutung ihrer aufwendigen Computerberechnungen. Aus den vorliegenden Daten kann sie so detailliert die Veränderungen im Gehirn auswerten und Modelle mit dem Computer simulieren.

Zu klären ist nun, ob diese Erkenntnisse für alle Gehirnstrukturen gelten, ob auch Formen, Farben und andere Sinneseindrücke so geprägt werden. „Und wir können die Erkenntnisse nutzen um auszuprobieren, ob auch KI-Systeme schneller lernen, wenn man ihnen Struktur vorgibt wie beim Neugeborenen-Gehirn,“ erklärt Trägenap. Es werde jedenfalls deutlich, dass das Gehirn auf der Basis von altem Wissen immer Neues lernen könne. „Probieren, Erfahrungen sammeln und ein eigenes System für das beste Lernen finden“ rät die Neurowissenschaftlerin anhand ihrer Erkenntnisse – und das lebenslang: Neues verarbeiten und Anpassung sei in den Gehirnstrukturen immer möglich.


Publikation

Sigrid Trägenap, David E. Whitney, David Fitzpatrick und Matthias Kaschube, The developmental emergence of reliable cortical representations. Nature Neuroscience (2025). https://www.nature.com/articles/s41593-024-01857-3

 

Kontakt
Sigrid Trägenap
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47503
eMail: traegenap@fias.uni-frankfurt.de
Web: https://www.fias.science/de/lebens-und-neurowissenschaften/gruppen/matthias-kaschube/

 

Anja Störiko
FIAS-Pressestelle
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 (0)69 798 47507
stoeriko@fias.uni-frankfurt.de

 

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Preis für Hochleistungs-Rechnen an Dr. Luciano Rezzolla

Luciano Rezzolla, FIAS Senior Fellow, erhält den mit 20.000 Euro dotierten PRACE HPC Excellence Award 2024 für seinen Beitrag zu Bildern supermassereicher Schwarzer Löcher

FIAS Senior Fellow für Bilder vom Schwarzen Loch ausgezeichnet

Am 05.02.2025 erhält Herr Dr. Luciano Rezzolla, Senior Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und Professor für »Theoretische Astrophysik« an der Goethe-Universität Frankfurt, den PRACE HPC Excellence Award 2024. Der Preis würdigt bahnbrechende Forschungen und wissenschaftliche Fortschritte durch den Einsatz von Hochleistungsrechnern (high-performance computing, HPC).

Herr Dr. Rezzolla und sein Team waren an den ersten Bildern supermassereicher »Schwarzer Löcher« beteiligt und ermöglichten deren Interpretation mit Hilfe numerischer Simulationen und dem Aufbau eines theoretischen Rahmens, der Interpretationen und tiefergehende Informationen erlaubt. Die faszinierenden Aufnahmen entstanden im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit am Event Horizon Telescope (EHT).

Die EHT-Bilder zeigen die Schwarzen Löcher M87* in der Galaxie M87 und Sagittarius A* (Sgr A*) im Zentrum unserer Milchstraße als einen hellen Ring, der den „Schatten des Schwarzen Lochs“ umgibt. Das Team um den theoretischen Physiker von FIAS und Goethe-Universität trug wesentlich zur theoretischen Modellierung der durch die Teleskope aufgenommenen Daten bei.

»Schwarze Löcher« abzubilden ist nicht einfach, da nur sehr wenig bekannt ist über die physikalischen Bedingungen in der Nähe des »Schwarzen Lochs« und die Dynamik des Plasmas, das Licht aussendet, bevor es vom »Schwarzen Loch« verschluckt wird. Daher sind ausgeklügelte Methoden und Hochleistungsrechner für die astronomische Forschung von großer Bedeutung.

Herr Dr. Rezzolla betont, hinter dem gewaltigen Aufwand für diese Bilder eines supermassereichen »Schwarzen Lochs« stecke die gewaltige gemeinsame Anstrengung vieler Forschender weltweit. Die Interpretation der physikalischen Bedeutung eines solchen Bildes und die Bestimmung seiner Auswirkungen auf unser Verständnis von »Schwarzen Löchern« sei nur möglich durch fortschrittliche theoretische Modellierung und Hochleistungsrechner. „Ich fühle mich privilegiert, weil ich Zugang zu diesen Forschungseinrichtungen am FIAS und der Goethe-Universität habe“, so Dr. Rezzolla.

Den Preis in Höhe von 20.000 Euro samt Urkunde und einem gravierten Pokal erhält der FIAS Fellow am 05.02.2025 im Rahmen des PRACE Intersection Seminars in der Fondation Universitaire in Brüssel (Belgien). PRACE steht für Partnership for Advanced Computing in Europe und ist eine europäische Initiative zur Bündelung der Rechenleistung von Hochleistungsrechnern in 25 europäischen Ländern.

Herr Dr. Rezzolla wird seine Arbeiten in einem Plenarvortrag vorstellen – der Preis sei ihm eine Ehre: „Er ist ein bescheidenes Beispiel für die zahlreichen Bemühungen in Frankfurt und anderswo, Supercomputer zu nutzen, um unser Verständnis des Universums zu vertiefen“.


Kontakt:
Prof. Dr. Luciano Rezzolla
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 (0)69-798-47871
eMail: rezzolla@itp.uni-frankfurt.de


Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebensund Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren.

Aktuelle Informationen zu Forschung, Projekten und Veranstaltungen unter https://fias.institute/

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Wie Wirkstoffe leichter Membranen durchqueren

Wirkstoffe können mit Hilfe des Adrenozeptors (gelb) die wasserabstoßende Fettschicht in der Membranmitte (grün) leichter durchdringen.

FIAS-Computersimulationen zeigen Weg in die Zelle für Medikamente

Wie Proteine das Durchqueren von Membranen erleichtern, zeigen Forschende des Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) mit Hilfe von Computersimulationen. Dies kann für Wirkstoffe ein wichtiger Weg sein, um in das Zellinnere vorzudringen, etwa zur Behandlung von Tumoren oder Autoimmunerkrankungen.

Die Zellmembran grenzt die Zelle von ihrer Umgebung ab und stellt für Teilchen aus der Umgebung eine Barriere dar. Sie erschwert beispielsweise das Eindringen unerwünschter Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien. Andererseits müssen lebensnotwendige Moleküle wie Nährstoffe oder Medikamente die Zellmembran durchqueren. Während es für manche Moleküle spezielle Transportsysteme gibt, müssen andere selbst einen Weg durch die Zellmembran finden. Im einfachsten Fall diffundieren die Teilchen durch die Membran, aber die wasserabstoßende Fettschicht in der Membranmitte ist schwer zu durchdringen.

Eine Möglichkeit, diese Energiebarriere beim Durchqueren der Membran erheblich zu verringern, konnte Cristina Gil Herrero, Doktorandin in der Arbeitsgruppe von FIAS-Fellow Sebastian Thallmair, nun aufklären: Ein Membranprotein, das unter anderem in Muskel-, Fett- und Nervenzellen vorkommt, der β2-Adrenozeptor, überbrückt die Fettschicht, wie sie mit Hilfe von molekularen Simulationen zeigte. Der β2-Adrenozeptor reduziert für zwei der untersuchten Wirkstoffe die Barriere um erstaunliche 60 %. Beides sind Arzneistoffe, die die Bronchien entspannen und erweitern und daher bei Lungenerkrankungen wie Asthma eingesetzt werden.

Für diese Wirkstoffe reicht es, bis an die Membran vorzudringen, um ihre gewünschte Wirkung zu entfalten. Die ebenfalls untersuchten Kinasehemmer müssen in die Zelle gelangen, um dort die Enzyme zu beeinflussen, die eine wichtige Rolle in der Zellregulierung und dem Energiestoffwechsel spielen. Kinasehemmer werden unter anderem in der Tumor- und Immuntherapie eingesetzt. Daher sind die Beobachtungen bei den untersuchten Kinasehemmern höchst spannend für zukünftige Medikamentenstudien, da sie einen bisher nicht berücksichtigten Weg zur Durchquerung der Zellmembran zeigen.

Die FIAS-Forschenden nutzen ausgefeilte Simulationsmodelle, die beispielweise Membranfunktionen nachahmen. Dazu bauen sie Moleküle aus Lego-ähnlichen Bausteinen zusammen. Die Simulationen in einer virtuellen Box folgen den Gesetzen der Physik. Dabei fiel den Forschenden auf, dass die Wirkstoffe in Anwesenheit des β2-Adrenozeptors häufiger die Membran durchqueren. Dies weckte ihre Neugier, die Rolle des β2-Adrenozeptors näher zu untersuchen.

Die Simulationen verdeutlichen, wie kompliziert es ist, das Durchqueren von Membranen durch Wirkstoffe vorherzusagen, da diese mit unzähligen Proteinen in der Membran wechselwirken. So könnten andere Proteine oder Lipide den Zugang auch erschweren. Die Erkenntnisse der Forschenden des FIAS können helfen, Wirkstoffe zu entwickeln, die leichter die Barriere der Zellmembran überqueren und so schneller in den Blutkreislauf und möglicherweise sogar über die Blut-Hirn-Schranke gelangen.

„Mit Hilfe von Computersimulationen möchten wir weitere Proteine identifizieren, die ein ähnliches Verhalten wie der β2Adrenozeptor zeigen“, beschreibt Sebastian Thallmair die weiteren Projektziele. „So hoffen wir, ein vollständigeres Bild über die Komplexität der Membrandurchquerung von Wirkstoffen zu erhalten.“


Publikation: Cristina Gil Herrero, Sebastian Thallmair, G-Protein-Coupled Receptor Surface Creates a Favorable Pathway for Membrane Permeation of Drug Molecules, J. Phys. Chem. Lett. 15, 12643 (2024), https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.jpclett.4c02875.

Abbildung: Wirkstoffe können mit Hilfe des β2-Adrenozeptors (gelb) die wasserabstoßende Fettschicht in der Membranmitte (grün) leichter durchdringen. Der Ausschnitt aus der Computersimulation zeigt dies für zwei Medikamente für Lungenkrankheiten – Salmeterol (rot) und Salbutamol (hellblau).

Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und KI-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften. Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren. https://fias.institute/

Herausgeber: Prof. Dr. Eckhard Elsen, Direktor des FIAS, Redaktion: Dr. Anja Störiko, Pressereferentin, Büro 1|202, Ruth-Moufang-Straße 1, D-60438 Frankfurt am Main, Telefon: +49 (0)69 798 47507 oder +49 6192 23605, stoeriko@fias.uni-frankfurt.de

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Dunkle Energie und Dunkle Materie in Galaxien

Umlaufgeschwindigkeit zu Entfernung von Sternen und Galaxien

FIAS-Forscher ermöglichen neues Verständnis der Kräfte im Universum

Dunkle Energie beschleunigt die Expansion unseres Universums. Den Einfluss dieser besonderen Form der Energie innerhalb unserer Galaxien untersuchen Forscher am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS).

Ihre aktuelle Arbeit zeigt, dass die abstoßende Kraft der dunklen Energie nicht mehr als zwei Größenordnungen über einem bekannten Wert liegen darf, um stabile Galaxien zu gewährleisten. Die Studie deutet darauf hin, dass »Dunkle Energie« auch im nahen Universum eine größere Rolle spielt als bisher angenommen.

Das Diagramm zeigt die Umlaufgeschwindigkeit (Rotational velocity) im Verhältnis zur Entfernung (Distance from the center) für Sterne in Galaxien. Ohne dunkle Materie sollte die Geschwindigkeit der gestrichelten Linie folgen und mit zunehmender Entfernung vom Zentrum abnehmen.

Die beobachtete Geschwindigkeit verläuft jedoch fast als flache Linie, was darauf hinweist, dass es in den Galaxien »Dunkle Materie« geben muss, um diese höher als erwartete Geschwindigkeit in den äußeren Bereichen zu erklären.

Zwei mysteriöse Kräfte formen das Universum: »Dunkle Materie«, die anzieht und Galaxien zusammenführt, und »Dunkle Energie«, die abstößt und sie auseinandertreibt, was die Ausdehnung des Universums verursacht.

»Dunkle Materie« macht etwa 26 % der Masse des Universums aus, während »Dunkle Energie« ungefähr 68 % beiträgt (der Rest von 6 % ist atomare Masse, aus der wir und die Sterne bestehen). Diese Kräfte: eine anziehend und die andere abstoßend – galten lange Zeit als die primären Einflüsse auf die Struktur und Entwicklung des Kosmos.

Neue Forschungsergebnisse von David Benisty und David Vasak aus den Gruppen der FIAS-Fellows Jürgen Struckmeier und Horst Stöcker vom Frankfurter Institute for Advanced Studies legen nahe, dass die Effekte der Dunklen Energie auch innerhalb von Galaxien nachweisbar sind, also auf einer viel kleineren Skala als bisher angenommen.

Durch die Analyse der Rotationskurven (Geschwindigkeit im Verhältnis zur Entfernung von Sternen, siehe Abbildung) in Zwerggalaxien stellten sie fest, dass die obere Grenze des Einflusses der »Dunklen Energie« überraschend nahe an den bekannten Werten liegt (nur zwei Größenordnungen höher).

Diese bahnbrechende Entdeckung deutet darauf hin, dass die »Dunkle Energie« einen viel größeren Einfluss auf die Dynamik von Galaxien hat als bisher angenommen. Sie könnte das Gleichgewicht zwischen der Gravitationskraft der »Dunklen Materie« und dem Druck der »Dunklen Energie« stören und zu galaktischer Instabilität führen.

Die von der Carl-Wilhelm-Fück-Stiftung und der Margarethe- und Herbert-Puschmann-Stiftung geförderte Forschung eröffnet neue Möglichkeiten, die »Dunkle Energie« innerhalb von Galaxien zu untersuchen und bietet neue Einblicke in ihre Beziehung zur »Dunklen Materie«. Die Ergebnisse stellen frühere Annahmen in Frage und deuten darauf hin, dass die »Dunkle Energie« auf viel kleineren Skalen wirkt als bisher angenommen.

Die Arbeit zeigt, dass in Galaxien mit langen Umlaufzeiten der Einfluss der »Dunklen Energie« die Geschwindigkeit in den äußeren Bereichen verringert. Daher nehmen die Forscher an, dass zukünftige Messungen, die sich auf die äußeren Regionen von Galaxien konzentrieren, »Dunkle Energie« auf viel kleineren Skalen erkennen werden, als es derzeit vorstellbar ist. Dies könnte zu einem tiefgreifenden Wandel in unserem Verständnis der fundamentalen Kräfte des Universums führen.


Publikation: David Benisty, David Vasak, Jürgen Struckmeier, Horst Stöcker, Bounding the Cosmological Constant using Galactic Rotation Curves from the SPARC Dataset, Phys.Rev.D 110 (2024) 6, 063028, https://doi.org/10.1103/PhysRevD.110.063028.

Das FIAS (Frankfurt Institute for Advanced Studies)
ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main. Hier entwickeln international ausgewiesene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Theorien zu komplexen naturwissenschaftlichen Zukunftsthemen in den Bereichen theoretische Naturwissenschaften, Computerwissenschaften und Kl-Systeme sowie Lebens- und Neurowissenschaften.
Über die Grenzen der Disziplinen hinweg erforschen sie mit Hilfe mathematischer Algorithmen und Simulationen die komplexen selbstorganisierenden Systeme der Natur. Das FIAS ist eine gemeinnützige Stiftung zwischen der Goethe-Universität und privaten Stiftern und Sponsoren.

Aktuelle Informationen zu Forschung, Projekten und Veranstaltungen unter https://fias.institute/

Foto: Gemini Observatory, Creative Commons License
http://sitn.hms.harvard.edu/flash/2016/galactic-rotation-curves-revisited-surprise-dark-matter/

 

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