Am Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) wurde eine bedeutende Entdeckung über die Funktionsweise des Gehirns veröffentlicht. Forschende der Universitätsmedizin Mainz, des FIAS und der Hebrew University in Jerusalem haben herausgefunden, wie sich neuronale Netzwerke im Gehirn reorganisieren können, wenn Nervenzellen verloren gehen.
Diese Erkenntnisse könnten wichtige Impulse für die Forschung zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson geben.
Hintergrund
Nervenzellen, auch Neuronen genannt, sind die Grundbausteine des Gehirns. Sie sind entscheidend für alle geistigen und körperlichen Funktionen, wie Denken, Fühlen und Bewegung. Im Laufe des Lebens können Neuronen aus verschiedenen Gründen absterben, etwa durch Alterungsprozesse, Gifte wie Alkohol, Drogen, oder neurodegenerative Erkrankungen.
Im Gegensatz zu anderen Körperorganen, die alte oder beschädigte Zellen regelmäßig ersetzen, ist die Neubildung von Neuronen im Gehirn sehr eingeschränkt. Besonders in der Großhirnrinde, die für komplexe Denkprozesse verantwortlich ist, ist diese Fähigkeit stark limitiert. Dennoch zeigt das Gehirn oft eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Verlust von Nervenzellen.
Die Entdeckung
Um herauszufinden, wie das Gehirn mit dem Verlust von Neuronen umgeht, untersuchte das Forschungsteam neuronale Netzwerke im »Auditorischen Kortex«, der für die Verarbeitung von Geräuschen zuständig ist. Sie entdeckten, dass sich die Aktivitätsmuster im Gehirn bei einem gezielten Verlust von Nervenzellen zunächst destabilisieren. Dies zeigt, dass die neuronalen Netzwerke in einem empfindlichen Gleichgewicht sind.
Bereits nach wenigen Tagen konnten die Forscher beobachten, dass sich ähnliche Aktivitätsmuster neu bildeten. Nervenzellen, die zuvor nicht aktiv waren, übernahmen die Aufgaben der verlorenen Neuronen. Dieser Mechanismus könnte eine wichtige Rolle bei der Kompensation von Nervenzellverlusten im Alter oder bei neurodegenerativen Erkrankungen spielen.
Bedeutung der Forschung
Die Ergebnisse dieser Studie können dazu beitragen, neue Ansätze zur Unterstützung der neuronalen Reorganisation im Gehirn zu entwickeln. Simon Rumpel, Leiter der Arbeitsgruppe »Systemische Neurophysiologie« an der Universitätsmedizin Mainz, betont, dass das Verständnis dieser Mechanismen für die Forschung zu natürlichen Alterungsprozessen und neurodegenerativen Erkrankungen von großer Bedeutung ist.
Die Entdeckung, dass das Gehirn in der Lage ist, sich nach dem Verlust von Nervenzellen neu zu organisieren, ist ein wichtiger Fortschritt im Verständnis der Gehirnfunktion. Diese Erkenntnisse könnten zukünftig helfen, neue Therapien für neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln und die Resilienz des Gehirns zu fördern.
Bildinformation
Mikroskopisches Bild aus dem Bereich des Gehirns einer Maus, der für die Verarbeitung akustischer Reize zuständig ist. Nervenzellen sind grün gefärbt; so kann die neuronale Aktivität gemessen werden. Die Zellkörper sind rot markiert. Der Bildausschnitt entspricht etwa einem Drittel Millimeter. Quelle: © AG Rumpel, Universitätsmedizin Mainz.
Publikation und Kontaktinformationen
Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlicht. Für weitere Informationen stehen folgende Kontakte zur Verfügung:
Prof. Dr. Matthias Kaschube
Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS)
Tel.: +49 69 798 47521
eMail: kaschube@fias.uni-frankfurt.de
Dr. Anja Störiko
FIAS-Pressestelle
Tel.: +49 (0)69 798 47507
eMail: stoeriko@fias.uni-frankfurt.de
Frankfurt Institute for Advanced Studies
Das FIAS ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung in Frankfurt am Main, die sich mit komplexen naturwissenschaftlichen Themen beschäftigt. Es arbeitet an der Schnittstelle von theoretischen Naturwissenschaften, Computerwissenschaften, KI-Systemen sowie Lebens- und Neurowissenschaften. https://fias.institute/