„Der Brexit ist ein Schock“

Das Votum der Briten für den Brexit – das politische und wirtschaftliche Beben, das diese Nachricht auslöst, ist in der City, aber auch am Riedberg zu spüren. Während sich Oberbürgermeister Peter Feldmann in einer Pressemitteilung „enttäuscht über die Entscheidung der britischen Wähler“ zeigte, sprechen am Riedberg wohnende Engländer, Schotten und Iren gegenüber MAINRiedberg von einem „Schock“. Eine Bankangestellte: „Ich bin heute früh aufgewacht und wollte es nicht glauben. Ich sehe Unsicherheit und Instabilität, nicht nur für den Markt, sondern vor allem auch für die Menschen in und außerhalb von Großbritannien.“ Eine Mitarbeiterin von Rolls-Royce in Oberursel spricht von einer „mittelschweren Katastrophe“.

„Der Euro bleibt stark“

Zahlreiche Riedberger verfolgten auch während der Arbeitszeit ständig die aktuellen Nachrichten, die Stadtverordneten vermutlich ebenso. OB Feldmann betonte in seinem Statement, das das Presse- und Informationsamt veröffentlichte: „Wir müssen jetzt diese Entscheidung für einen Neuanfang in Europa nutzen. Der Staatenbund und der Euro sind und bleiben stark.“

Vorab war bereits spekuliert worden, dass im Fall der Fälle zahlreiche Banken und Finanzinstitutionen ihre Niederlassungen auf dem Festland ausbauen werden. Frankfurt ist hier neben Paris der wichtigste Finanzstandort. Viele – oft gut verdienende – Banker werden dann für sich und ihre Familien Wohnungen im Rhein-Main-Gebiet suchen müssen, wo bereits jetzt tausende Wohnungen fehlen und die Immobilienpreise seit Jahren steigen.

Bezüglich eines solchen Szenarios zeigte sich der Oberbürgermeister zurückhaltend: „Es war in den letzten Wochen viel spekuliert worden von einem Bedarf an neuem Wohnraum, einer vermehrten Ansiedlung internationaler Unternehmen bis zu einer Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt. Daran möchte ich mich nicht beteiligen.“ Stadtkämmerer Uwe Becker indes erklärte: „Sollten Unternehmen in Betracht ziehen, ihren Sitz von London nach Frankfurt zu verlegen, so sind wir gut aufgestellt und werden die Infrastruktur dem dadurch steigenden Bedarf anpassen.“

OB: „Börsenfusion muss diskutiert werden“

Was aber bedeutet das für die geplante Fusion der Deutschen Börse und der London Stock Exchange? Frankfurts Oberbürgermeister sieht nach wie vor die Pläne zur Börsenfusion skeptisch und sagt: „Unter diesen Umständen muss die Entscheidung der Börse und ihres Standortes weiter diskutiert werden. Ich bin gespannt, wie sich das Land Hessen im Genehmigungsverfahren verhalten wird.“ Laut FAZ verdichten sich bei Wirtschafts-Experten die Überlegungen, dass der Sitz der fusionierten Börse in London ein Problem ist – und nach einem Brexit noch mehr gegen den Konzernsitz in der britischen Hauptstadt spricht.

Unsicherheit und viele Fragen

Das ist die „große“ Wirtschaft und Politik. Der Brexit betrifft aber auch schon jetzt Riedberger ganz privat. „Nachdem wir heute aufgewacht sind und die Nachrichten gehört haben, wurde meinem Mann klar, dass er bald eine Arbeitserlaubnis und eine Arbeitsgenehmigung braucht oder zumindest alles wesentlich komplizierter wird“, berichtet Billabong-Vorstandsmitglied Judith McCrory, die bei Rolls-Royce in Oberursel arbeitet. Ihr Mann ist Schotte, könnte also eventuell im Nachhinein noch auf einem Exit vom Brexit durch die Schotten hoffen.

In der Region gibt es Konzerne, die im Vorfeld die Mitarbeiter mit britischem Pass ausdrücklich gebeten haben, für den Verbleib in der EU zu stimmen. Der Warenverkehr von und zur Insel ist fließend. „Sollen wir dann für jedes Teil in irgendeiner Form einen Zollzettel ausfüllen, oder wie wird das in Zukunft werden?“, fragt beispielsweise Judith McCrory.

Eine Bankmitarbeiterin, mit der MAINRiedberg sprach, verwies auch auf „die jungen Menschen, die aus England kommen und hier in Frankfurt bei Banken arbeiten“. Oft ist die gesamte Familie nachgezogen, langfristige Verträge sind in der Branche aber nicht mehr üblich. Einige dieser Briten wohnen auch hier am Riedberg. „Was wird jetzt aus Ihnen, also aus den kleinen Leuten? Die Banken werden die Verträge garantiert nicht verlängert. Heißt es dann einfach: Und tschüss?“

(Text: cd/ Grafik: bluedesign/ fotolia)

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