Musik ist mein Leben

Der Boden vor dem Haus ist mit Kinderzeichnungen in Kreide verziert. Die Skyline Frankfurts ist in Sichtweite. Durchs offene Fenster dringt Musik. Natalya Karmazin öffnet wenig später die Tür und erzählt, am Küchentisch unter einem Kinderbild mit Hund und Katze sitzend, von ihrem Ausbildungsweg und ihrer Karriere als Pianistin. Derzeit ist die gebürtige Ukrainerin vor allem mit ihrer Familie, Musikunterricht und zwei Bands beschäftigt. 2006 gründete Natalya ihr eigenes Jazz-Quintett, die Karma Jazz Group, in der sie Bandleaderin ist und große Erfolge feiert. 2009 gewann die Gruppe den Frankfurter Jazzpreis, eröffneten das Deutsche Jazzfestival im HR-Sendesaal, spielte und spielt ein Konzert nach dem anderen. Mit ihrer Klezmer-Band kann man Natalya bei „Kultur in der Aula“ in der Grundschule Riedberg am 11. September um 20 Uhr sehen und hören (Veranstaltung siehe riedbergTermine).

Als Klezmer- und Jazz-Band, die improvisatorisch arbeitet, treffen sich die Musiker immer nur vor Auftritten ein bis zwei Mal zum Üben. Der Rest entsteht spontan auf der Bühne vor dem Publikum. Das verlangt von allen Mitgliedern höchste Fertigkeiten an ihren Instrumenten. Natalya kann diese dank ihres großen Talents und nach vielen Jahren des Studiums zweifelsohne vorweisen.

Zuletzt hat sie in Leipzig bei dem berühmten Jazzpianisten Richie Beirach gelernt, was sie nicht ohne Stolz berichtet. Damals, als sie bereits in Frankfurt lebte und arbeitete, pendelte sie ein Mal wöchentlich in den deutschen Osten. Dem voraus ging das Studium an der Musikhochschule Frankfurt, wo sie nach drei Jahren klassischen Musikstudiums beschloss, zur Jazzpianistin ausgebildet werden zu wollen. Nach Deutschland kam Natalya 1999. Ursprünglich stammt sie aus der Ukraine, wo sie bis dahin in Lemberg – im Westen der Ukraine – an der Musikhochschule studiert hatte. Bereits mit 15 Jahren verließ sie das Haus ihrer Eltern und zog alleine nach Winnyzia, um dort an der Musikfachschule Klavier zu studieren. Der frühe Auszug und das selbstständige Leben in einem Studentenwohnheim haben sie stark gemacht, sagt sie. Sehr schwer fiel ihr die Entscheidung, ihre Familie zu verlassen, nicht, so froh war sie, die Aufnahmeprüfung bestanden zu haben. Würde man durch diese nämlich auch nur ein Mal durchfallen, gebe es kaum eine Chance, sie noch einmal abzulegen und zu bestehen.

Deswegen war sie auch als Achtjährige besonders glücklich, in die Musikschule ihres Heimatorts Chmelnik aufgenommen zu werden. Natalya erklärt, dass die Musikschulen in der damaligen Sowjetunion nicht zu vergleichen seien mit dem, was man in Deutschland heute kennt. Als ganz junges Mädchen musste sie eine umfangreiche Aufnahmeprüfung bestehen und in dieser ihr musikalisches Talent beweisen, ohne bis dahin jemals am Klavier gesessen zu haben. Dass sie genau dieses Instrument unbedingt lernen wollte, stand für sie felsenfest. Sie kann sich schlichtweg nicht daran erinnern, jemals etwas anderes gewollt zu haben. Um dieses Ziel zu erreichen, musste sie allerdings lange Überzeugungsarbeit leisten. Natalya stammt aus einer relativ armen Arbeiterfamilie. Ihre Mutter versuchte ihr lange zu erklären, dass der Versuch, an der Musikschule angenommen zu werden, unsinnig sei. Sie war der festen Überzeugung, dass nur Kinder einflussreicher Eltern angenommen würden. Das sei damals in der sowjetischen Union nicht unüblich gewesen. Natalya akzeptierte das Nein der Mama nicht und als sie die Aufnahmeprüfung schließlich als eine von 10 Kindern aus 50 Bewerbern schaffte, war sie umso glücklicher. Sieben Jahre lang konnte sie nun drei Mal in der Woche – neben der regulären Schule! – die Musikschule besuchen, lernte eifrig und sehr selbstständig mit Hilfe von Musikjournalen, die umfangreiche Notenblätter enthielten.

Über die Unselbstständigkeit vieler heutiger Jugendlicher wundert sich Natalya. Ihre eigene Mutter hatte wenig Zeit, vier weitere Geschwister mussten versorgt und ernährt werden. Von denen weist übrigens niemand das musikalische Talent der Schwester auf. Der Vater hat zwar gut gesungen und der Großvater Blasinstrumente nach dem Gehört gespielt. Der Wunsch einer professionellen musikalischen Ausbildung muss aber eine echte Ausnahme für die Familie dargestellt haben.

Doch Natalya Karmazin übte, spielte und kämpfte sich nach oben. Nachdem sie fünf Abschlüsse erlangt hat, war sie bereit, eine Familie zu gründen. Mit dieser lebt sie seit 2012 auf dem Riedberg. Sie hat sich richtig gut eingelebt und kann sich kaum noch vorstellen, wie sie ein Leben in der Ukraine führen sollte. Der ältere Sohn hat früh das Klavierspiel gelernt, interessiert sich aber vor allem fürs Malen und besucht eine Kinderkunstschule. Im oberen Stockwerk des Hauses befindet sich ein offener, heller Raum, in dem ein großer pinkfarbener Teppich auf dem Boden liegt. Darauf steht ein schwarzer Flügel. Wenn man sich daran niederlässt, blickt man durch das Balkonfenster auf die Frankfurter Skyline. Hier erteilt Natalya Unterricht an Kinder und Erwachsene.

Für die Zukunft hat sie große Pläne: Als nächstes nimmt sie ihr Projekt zur musikalischen Früherziehung in Angriff. Dabei stehen ihr ausgebildete Musikpädagogen zur Seite. In Gruppen soll Kindern von drei bis sechs Jahren ein Gefühl für Klang, Rhythmus und Freude an der Musik vermittelt werden. Ein Schwerpunkt liegt bei Klavier- und Instrumentalunterricht. Zudem schwebt Natalya die Gründung einer eigenen Musikschule und eines Kulturvereins für Auftritte, musikalische Experimente und Auftritte vor. Bei allem, was sie bis heute erreicht hat, wird sie auch das sicher erfolgreich in der Zukunft umsetzen.

                                                 Autorin: Sina Brückner

 

 

Weitere Informationen über Natalya Karmazin unter www.natalyakarmazin.com

Kontakt bezüglich musikalischer Früherziehung: musikunterrichtriedberg@gmail.com

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