Ein Blick zurück auf die »Kirche im Rondell«

Marie-Curie-Straße 30, Rondell

»Kirche im Rondell« haben Sie noch nie gehört? Wo soll die denn sein? Nun, die Nebel des Vergessens sind seit 2006 dabei, die Spuren einer schönen Institution im Mertonviertel zu verdecken.

Das 60 Hektar große Mertonviertel im Süden des Riedbergs entstand ab Mitte der 1980er-Jahre auf einem rund 60 Hektar großen Gebiet, das bis 1982 größtenteils von den Industrieanlagen der ehemaligen Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM) eingenommen wurde. Die Sanierungsarbeiten mit einer eigens errichteten Entgiftungsanlage zogen sich parallel zu den Bauarbeiten bis in die frühen 2000er-Jahre hin.

  • 1987 entstand das erste große Büroobjekt, das 7-flüglige Gebäude des Anlagenbauers Lurgi.
  • 1988 wurde die Kita Hundertwasser errichtet.
  • 1993 wurde die Marie-Curie-Straße 30/32 erbaut.

Insgesamt wurden 19 Büroobjekte mit 380.000 m2 Bürofläche errichtet.

Parallel zur Entwicklung der gewerblichen Immobilien entstanden auch zahlreiche Gebäude für Wohnbevölkerung. Es wurde Wohnraum für etwa 5.000 Menschen geschaffen. Doch gerade die Mischung von Gewerbe und Wohnbevölkerung wurde zum Problem für das Viertel. Die Firmen hatten kein Interesse daran, in dem Gebiet soziale Infrastruktur zu fördern. Die Stadtplaner hatten auch nichts dergleichen vorgesehen.

So entstand wenig lokaler Zusammenhalt. Vereine und soziale Institutionen wie Jugendhäuser, Familienzentren und Ähnliches findet man im Mertonviertel nur spärlich oder gar nicht. So entstand 1996 in Kooperation zwischen der evangelischen Thomasgemeinde und der katholische Gemeinde Peter und Paul die Idee, einen Ableger im Mertonviertel als Interimslösung zu etablieren. Pfarrer Alexander Kaestner gründete die »Kirche im Rondell«.

  • Hier konnten neue Gottesdienstformen erprobt werden.
  • Kinder und Jugendliche wurden von ihm betreut.
  • Ansprechende Veranstaltungen wurden für die Bewohner organisiert.
  • Und vor allem wurde eine ökumenische Kindertagesstätte auf den Weg gebracht.

Pfarrer Kaestner kümmerte sich vor allem auch um die Menschen in der Arbeitswelt der umliegenden Büros. Dass ein Gemeindepfarrer mit Betriebsräten über Mobbing diskutiert und Ansprachen auf Betriebsversammlungen hält, war ein Novum und wurde von der arbeitenden Bevölkerung dankbar angenommen. Eine Kirche für den Arbeitsalltag war entstanden.

Dieses Vorgehen könnte auch ein Teilkonzept gegen den ständigen Austritt von Gläubigen aus der Kirche darstellen. Von den Firmen jedenfalls wurde dieses Engagement begrüßt. Finanziell gefördert hatten sie diese Initiative jedoch nicht, wie Pfarrer Kaestner bedauernd feststellen musste.

Nach 10 Jahren Aufbauarbeit wurde 2006 das Projekt (das von vornherein als befristeter Einsatz geplant gewesen war) wieder eingestellt. 2007 trat Pfarrer Kaestner seinen wohlverdienten Ruhestand an. Am 05.12.2022 ist er im Alter von 80 Jahren gestorben.

Wie ging es weiter?

Etwa 3 Jahre nach der Schließung der »Kirche im Rondell« beschlossen die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften PWC und KPMG sukzessive den Standort zu verlassen. Sechs Gebäude mit etwa 100.000 Quadratmetern Bürofläche blieben ab 2011 im Mertonviertel leer zurück – mehr als ein Viertel der gesamten Fläche. Auch das Lurgi-Gebäude verlor zunehmend seine Mieter, bis es fast leer stand. Es wurde von der städtischen ABG gekauft und abgerissen. Dort sollen 900 Wohnungen moderne Wohneinheiten inklusive Schule, Kinderbetreuungseinrichtungen und attraktive Nahversorgungsangebote entstehen.

Die Frankfurter Projektentwicklungsgesellschaft Henry Faktors »Plan Plus Faktor« konnte inzwischen das KPMG-Hauptgebäude an der Marie-Curie-Straße an die die hessische Landesbehörde Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen (LBIH) für die Frankfurter Polizei vermieten.

Um einem Verfall des Gewerbeviertels entgegenzuwirken, schlossen sich 2009 sieben interessierte Gewerbeimmobilien-Eigentümer zusammen und beauftragten die Entwicklung Deutschlands erster Standortinitiative für einen Bürostandort, mit dem Namen »MertonViertel«. Mit professioneller Hilfe der Firma Public Star, einer Tochter der Agentur Stern aus Wiesbaden wurde ein Marketingkonzept erstellt und umgesetzt.

Auch wenn die Attraktivität für Gewerbetreibende dadurch erhöht wurde, für die sozialen Strukturen der Menschen, die dort wohnen, war das keine große Weiterentwicklung.

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