„Das Losverfahren bei der Schulplatzvergabe ist eine Katastrophe“

Von Ann Wente-Jaeger

Die Aufregung vor dem Übertritt ist groß. Doch die Benachrichtigungen zur Schulplatzvergabe sind für viele Familien am Riedberg eine große Enttäuschung. Fast jedes vierte Kind wurde durch das Losverfahren an weiterführende Schulen in anderen Stadtteilen verteilt.

In Frankfurts familienreichstem Stadtteil gibt es derzeit zwei weiterführende Schulen: das Gymnasium Riedberg und die IGS Kalbach-Riedberg. Beides beliebte Schulen mit einem guten Ruf in ganz Frankfurt. Für den Übertritt standen beide natürlich ganz oben auf den Anmeldungen der Riedberger Viertklässler.

Sowohl das 2009 gegründete Gymnasium als auch die erst 2017 eröffnete Gesamtschule stoßen allerdings längst an ihre Kapazitätsgrenzen. Am Riedberg mit 2300 Kindern zwischen 6 und 14 Jahren plus 600 Jugendlichen über 15 ist das kein Wunder. Die Situation hat sich noch verschärft, seit 2020 die Schulplatzvergabe per Losverfahren stattfindet und die Wohnortnähe, aber beispielsweise auch das naturwissenschaftliche MINT-Profil des Gymnasiums oder die Schulempfehlung kein Aufnahmekriterium mehr ist.

Die Folge: Teilweise ein Viertel aller Kinder einer Klasse wurden in den vergangenen Wochen per Losverfahren gegen ihren Wunsch an andere Schulen im Stadtgebiet verteilt, sehr viele an die Otto-Hahn-Gesamtschule in Nieder-Eschbach.

„Wir sind enttäuscht und frustriert“

„Und das, obwohl das Gymnasium und auch die IGS sicherlich genug Plätze für die Riedberger Schüler hätten. Nur leider ist es für das Schulamt egal, ob ein Kind im gleichen Stadtteil wohnt. So haben jetzt viele Kinder aus anderen Stadtteilen einen Platz an den Riedberger Schulen erhalten, während sich dafür die, die hier wohnen, ab August in die U-Bahn setzen müssen“, berichten Eltern. Das findet auch Yvonne Scholl, Mutter eines Viertklässlers: „Das Losverfahren ist eine Katastrophe und geht klar auf Kosten der Kinder. Nach der Absage fällt man in ein großes Enttäuschungsloch. Bei diesem Glücksspiel-Losverfahren braucht man in Zukunft auch keine Infoveranstaltungen mehr.“ 

Das Gymnasium Riedberg ist sehr beliebt. Viele Riedberger Kinder haben bei der Platzvergabe durch das neue Losverfahren aber keinen Platz hier erhalten Foto: MAINRiedberg

Auch der Vater eines anderen Jungen sieht es so: „Wir sind enttäuscht und frustriert, es ist keine gerechte Verteilung. Wir überlegen tatsächlich, ob es die richtige Entscheidung war, hierherzuziehen.“

Das sagt die Schulleiterin der IGS

Vom Schulamt und auch von den Schulen wird darauf verwiesen, dass es keinen Rechtsanspruch auf Aufnahme an eine bestimmte weiterführende Schule gibt. Auch nicht, wenn sie im eigenen Stadtteil liegt und zur Schulempfehlung passt.

Susanne Gölitzer, Leiterin der IGS Kalbach-Riedberg, zeichnet ein differenziertes Bild der neuen Regelung. Die immer noch junge Schule punktet mit ihrem reformpädagogischen Konzept. „Doch die Profilbildung macht nur Sinn, wenn sich die Eltern bewusst für eine Schule entscheiden können.“ Andererseits spricht für das Losverfahren, „dass es alle Kinder gleichberechtigt“.

Auch bei der erst 2017 eröffneten IGS Kalbach-Riedberg gab es deutlich mehr Anmeldungen als freie Plätze Foto: MAINRiedberg

Beim Staatlichen Schulamt dürfte für die Los-Regelung sprechen, dass Klagen gegen dieses System der Platzvergabe kaum noch aussichtsreich sind – im Gegensatz zur Vergangenheit.

Sicher, es gibt Ausnahmen. Geschwisterkinder können vorrangig aufgenommen werden, oder Härtefälle, etwa wenn ein Kind aufgrund von Krankheit nicht in einen anderen Stadtteil pendeln kann. Wie man sich allerdings darüber hinaus in der Vorauswahl über die „Härtefall“-Regelung einen Platz sichern kann, ist umstritten und im Hessischen Schulgesetz dehnbar formuliert.

Freundschaften werden auseinandergerissen 

Eltern am Riedberg sprechen von „Demotivation“ und von „Verschwendung von Potential“. Dazu kommen noch Bedenken wegen Corona, wenn sich die Kinder nach den Sommerferien ungeimpft jeden Morgen in Busse und Bahnen setzen, obwohl sie vor Ort das Gymnasium oder die IGS zu Fuß bequem erreichen könnten. So manche werden nicht nur deswegen aufs Eltern-Taxi zurückgreifen. „Jetzt fahren Eltern aus anderen Stadtteilen ihre Kinder auf den Riedberg und wir fahren unsere nach Nieder-Eschbach. Das ist nicht nachvollziehbar und auch nicht nachhaltig“, meint eine Mutter, deren Tochter ebenfalls auf die Otto-Hahn-Schule gehen soll.

Es dürfte wohl kaum ein Kind geben, dessen soziale Kontakte und psychische Gesundheit durch die Corona-Pandemie in den letzten 1,5 Jahren nicht zumindest ein wenig gelitten haben. Die Kinder in dieser Situation aus ihrem ohnehin labileren Freundeskreis zu reißen, mache das nur noch schlimmer. 

Kann eine neue Schule Entlastung bringen?

Im Staatlichen Schulamt in Frankfurt gibt es eine Anlaufstelle, wo man sich auch nach der Platzvergabe nach freien Schulplätzen im Stadtgebiet erkundigen können. Eltern am Riedberg bekamen die Auskunft, dass nur noch in Niederrad und Höchst Plätze frei sind. Am anderen Ende der Stadt.

Speziell im kinderreichen Riedberg wird sich das Problem in den nächsten Jahren noch deutlich vergrößern.

Die Stadt plant unterdessen, eine weitere Gesamtschule für den Frankfurter Norden im  Dreieck zwischen Kalbach, Bonames und Nieder-Eschbach anzusiedeln. Momentan ist die Johanna-Tesch-Schule noch in einem Provisorium in Bockenheim untergebracht und soll am endgültigen Standort auf rund 900 Schüler erweitert werden. Mit Ausschreibung und Bau dürfte das aber bis mindestens 2025 dauern. 

Foto: privat

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