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Rezension: „Als Undine wiederkam“

Als Undine wiederkam

Ein neues Buch von Beate Thieswald-Schechter, der Autorin von „Raupi – eine deutsch-deutsche Kindergeschichte“ (2014), „Ostdeutsche Geschichten“ (2015) und „Sophie, die Traumspezialistin“ (2017).

Die Riedbergerin erzählt in ihrem Roman „Als Undine wiederkam“ von unerfüllter und erfüllender Liebe, dem Kampf zwischen Sicherheit und Hingabe, Verlust, Trauer und dem Nachhall der Vergangenheit.

Charlottas Leben wird aus den Bahnen geworfen, als ihre Mutter Annette stirbt. In den Tagen vor der Beerdigung und zusammen mit ihrem Vater und ihrem Bruder durchläuft die Studentin den Prozess der Trauer und Aufarbeitung und stößt auf eine Sammlung von Geschichten und Gedichten der Verstorbenen aus  deren eigener Studienzeit.

Durch die Aufzeichnungen erhält die Tochter einen tiefen Einblick in das Leben und die Gedanken ihrer Mutter, als sie gerade so alt war wie sie und beginnt die Parallelen in ihrem eigenen Leben zu entdecken. Unerfüllte Sehnsucht durchzieht die ganze Familie, ob in der Eifersucht ihres Bruders um die Zuneigung ihrer Eltern oder Charlottas eigenen Beziehungen, in denen sie immer mehr ihre Mutter in sich wiederfindet.

Unter diesem Schatten der Vergangenheit kämpft die Studentin damit, die Geschichte ihrer Mutter durch die Reflektion in ihrem eigenen Leben zu einem Happy End zu führen und neue, glücklichere Wege für sich selbst, aber auch für ihre Familie zu finden.


Über die Autorin
Beate Thieswald-Schechter, geboren 1969 in Eisenach, wuchs mit ihrem Bruder in Sachsen-Anhalt auf. Im Sommer 1989 floh sie über Ungarn in die Bundesrepublik. Ihre Fluchterfahrung prägten eine der drei Erzählungen, die 2015 unter dem Namen „Ostdeutsche Geschichten“ über tredition publishing erschienen. Nach einem Studium der Sozialarbeit und Familientherapie arbeitet sie als Sozialpädagogin in verschiedenen Berufsfeldern. Seit 2000 lebt sie mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Frankfurt am Main, seit 2006 auf dem Riedberg.

Autorin Frau Thieswald-Schechter

Ihre Arbeit als Familientherapeutin zeigt sich deutlich in ihrem neuen Werk. In ihrem Roman „Als Undine wiederkam“ thematisiert Frau Thieswald-Schechter die transgenerationale Weitergabe von Erfahrungen und Verhaltensmustern, die Echos aus der Vergangenheit der Mutter in der Zukunft der Tochter. Durch die Texte ihrer Mutter sieht sich Charlotta mit einem Spiegelbild ihrer selbst konfrontiert und entschlüsselt mit der Zeit ihre eigene Prägung und die ihrer Familie.

Annette personifiziert in ihren Notizen die Anteile ihrer selbst in der Form zweier imaginärer Schwestern, die Aspekte ihres Wesens widerspiegeln, der energetischen und wilden Zuni und der empfindsamen und romantischen Undine. Inwieweit dies als dissoziative Identitätsstörung zu deuten ist oder lediglich eine künstlerische Ausdrucksweise von Annettes inneren Konflikten ist, wird dem Leser überlassen. Die Charakterisierung der Mutter ist jedoch überwiegend empathisch und kaum stigmatisierend.

Die Geschichte spielt gleichzeitig in der Gegenwart und 30 Jahre in der Vergangenheit. Ein ständiger Kontrast ist der tiefe, intime Einblick in die Jugend der Verstorbenen, mit der Außenwahrnehmung der Trauernden, die mit Charlotta über ihre Mutter sprechen.

Stilistisch ist das Buch interessant gestaltet, da ein großer Teil des Werkes in Form von Briefen, Tagebucheinträgen und Gedichten aus der übergreifenden personalen Erzählsituation ausbricht. Ein allzu großer Unterschied im Schreibstil für Mutter und Tochter lässt sich nicht erkennen, was jedoch auch die zentrale These des Buchs über die Prägung durch Erziehung stützen könnte.

Der Name der Titelfigur Undine ist dem Gattungsbegriff der Nymphen aus der Staufenbergsage entnommen und spiegelt sich in Aspekten der Persönlichkeit der beiden Frauen wider. Undinen sind nach Paracelsus äußerlich von Menschen nicht zu unterscheiden, besitzen aber keine Seele und versuchen durch ein Bekenntnis der Liebe und Treue eines Menschen ihre eigene unsterbliche Seele zu erlangen. Psychologischer Hintergrund der mythologischen Figur ist jene unsichere Person, ohne Bewusstsein des eigenen Wertes, die diesen Wert durch die Liebe eines anderen zu finden hofft. Die Gefahr dieser Suche nach  Bestätigung von außen ist als Beobachter offensichtlich, in der Situation aber verständlich verlockend. Das resultierende Abhängigkeitsverhältnis steht auf schwachen Beinen und so bringt auch die Undine dem untreuen Mann in der Sage den Tod. Die Untreue entreißt ihr den eigenen Wert wieder und zieht sie in die Tiefe.  Die kleine Seejungfrau in Hans Christian Andersons gleichnamigen Märchen verzichtet auf ihre Rache und stirbt allein. Die Rache ist also nur eine Möglichkeit. Aber letztlich ist diese mythologische Figur eine romantische Verklärung für eine durch mangelnde Liebe und Bestätigung der Eltern verhinderte selbstbewusst-emanzipatorische Entwicklung hin zu einer liebesfähigen und starken Persönlichkeit. Die Einordnung unter Mythen und Legenden (fiktional) auf isbn.de erscheint trotzdem etwas unpassend, handelt es sich doch um eine nur zu realistische Erzählung über Trauer, Heilung und Selbstfindung.

„Als Undine wiederkam“ ist ein Drama der Charaktere und bleibt vage mit überflüssigen Informationen. Orte bleiben nebulös, der Name von Charlottas Mutter taucht erst nach 80 Seiten auf. Die Familie könnte überall, könnte jeder sein. Was zählt ist ihr Verhältnis und ihr Verhalten in den Funktionen und Dysfunktionen ihres, zu Beginn unerfüllten, Familienlebens.

Eine klare Leseempfehlung für Freunde detaillierter und persönlicher Familiendramen, die eher durch unterliegende Themen und realistische Charaktere, als durch überzogene Dramatik und packende Handlung glänzen. Durch den empathischen Einblick in Charlottas Perspektive ist das Buch geeignet für junge und ältere Erwachsene, die Gefallen an romantischer Literatur finden.

Der Roman behandelt viele ernste und persönliche Themen, ohne theatralisch zu werden. Während besonders im ersten Teil des Buches die Mutter Charlottas mit ihrer Geschichte und ihren Gedichten zu Wort kommt und ihre Kinder als Leser, aber auch den Leser des Buches mitunter herausfordert, geht es im zweiten Teil vor allem darum, wie Charlotta ihren persönlichen Weg mit diesem Thema sucht und findet. Das Zusammentreffen der Charaktere im etwas gehetzt wirkenden Finale des Romans, löst die meisten offenen Konflikte und führt zu einem kathartischen Ende mit einer klaren positiven Botschaft.

Die Widmung „Für alle, die der Liebe zu wenig vertrauen.“ ist Programm. Frau Thieswald-Schechter selbst richtet das Werk an jene, „die sich selbst oder ihre*n Partner*in als zu abhängig in Liebesbeziehungen erleben oder die gern Romane mit viel zwischenmenschlicher Tiefe lesen.“  Auch Freunde der modernen, reimlosen Lyrik kommen mit der großen Anzahl eingestreuter Gedichte aus der fiktiven Feder von Charlottas Mutter auf ihre Kosten.

Als Undine wiederkam“ ist seit November 2022 über den Hamburger Eigenverlag „tredition“ erhältlich. Softcover, 484 Seiten, 20 €, ISBN-13: 978-3-347-68123-1, Druck nach Bestellung.

Zwei von Klaviermusik begleitete Lesungen mit dem Roman gibt es am 23. März Februar um 20 Uhr im Niederurseler „Café Mutz“ und am 24. März um 20 Uhr im Heddernheimer „habel.elf“.

Gastbeitrag von Herrn H. Elbert

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