37 Grad im Schatten, blauer Himmel, weiße Häuser. Innen drinnen gibt es fast unendlich viel Licht, dazu viel Glas, Beton und großzügige Fenster. Es ist die weiße Stadt, eines der Vorzeigeprojekte in Frankfurt-Riedberg. Erbaut in der Bauhaus-Tradion, gewidmet dem Frankfurter Architekten und Stadtbaurat Ernst May zum 125. Geburtstag. 25 von 30 Häusern sind bereits bezogen. In einem Haus in der Fritz-Bauer-Straße öffnet ein überaus freundlicher Riedberger in Shorts und Polohemd und erklärt vielleicht noch überzeugender, als es die Architekten könnten, warum dieses Haus zur Herzensangelegenheit wurde.
Aber zunächst bekommt jeder der anwesenden Journalisten ein Glas Wasser zur Erfrischung. Und während Christoph Müller-Dott von Lufträumen und Lichtachsen spricht, lassen alle die Blicke kreisen. Zum weißen Kamin neben der grauen Betonwand, der direkt an Küchenbereich und Essplatz angrenzt, und von beiden Seiten einsehbar ist. Zu den frischen Blumen unterm stylischen Kronleuchter, zur freien Holztreppe mit Glaswand, die nach oben führt und selbst den Gangbereich größer erscheinen lässt. Auch die Helligkeit im ganzen Haus verblüfft. Nein, ihn haben die vielen Vorgaben und Einschränkungen, die es von Seiten der Stadt und der Hessenagentur gab, nicht abgeschreckt. “Meine Frau und ich waren auf der Immobilienmesse am Riedberg gewesen.” Seitdem hat den 50-jährigen Geschäftsführer das Projekt fasziniert. “Wir haben 20 Jahre in Heddernheim gewohnt und jetzt wohnen wir ein Jahr und drei Monate hier”, bilanziert er. Auch eines der drei Kinder ist noch mit an den Riedberg gezogen. So blieb auch Platz für Gästezimmer mit Bädern und einen “Kinosalon”. Letztlich konnte ja “jeder Bauherr die Innenräume selbst bestimmen”.
Ab Planungsbeginn im Frühjahr 2011 stand fest: Die Häuser auf den rund 400 Quadratmeter großen Grundstücken sollten “eine zeitgemäße und kubische Formensprache” aufweisen. Nur zwei Geschosse sind zulässig, Flachdächer sind vorgeschrieben, die Materialien müssen hochwertig sein. Carport oder Garagen sollten mit dem Haus eine Einheit bilden. “Sehen Sie nur, wie überzeugend man das ausführen kann”, sagt Professor Dietrich-W. Dreysse, als er mit Vertretern der Hessenagentur durch die weiße Stadt führt. Dann deutet der Vorsitzende des Gestaltungsgremiums auf ein schmales Band aus Beton, das wie ein Legostein Carport und Eingangsbereich eines Hauses verbindet – und zudem als Wetterschutz dient.
Dreysse hat den Stadtplaner Ernst May noch als Lehrer erlebt (“Er hat bombastische Vorträge gehalten!”) und vergleicht die schlichte Eleganz der Riedberger Siedlung mit der Bauhaus-Metropole Tel Aviv. Manche Experten geben zu Bedenken, dass Ernst May nicht weiße, sondern bewusst farbenprächtige Fassaden bevorzugte und vor mehr als einem Jahrhundert ein architektonisches und soziales, neues Frankfurt bauen wollte. Das trifft auf die weiße Stadt nur bedingt zu. Die Baupreise lagen und liegen laut Hessenagentur bei “850.000 Euro aufwärts”. Einige Bauherren sprechen offen von Kosten im siebenstelligen Bereich.
Das Interesse für die Grundstücke war so groß, dass sie schließlich verlost werden mussten. In einem Wettbewerb wurden die Entwürfe von zehn Architekten ermittelt, aus denen man auswählen konnte. Jeder Bauplan musste dennoch extra genehmigt werden. Nicht selten gab es Nachforderungen der HA Stadtentwickung oder der Behörden. Projektleiter C. Emmerich Schönmehl spricht davon, dass man “keinen Wildwuchs” dulden und die hohen Qualitätsstandards sichern wollte. Immer öfter werden die Riedberger auch jenseits der Grenzen des neuen Stadtteils gefragt, wo genau ihr Zuhause ist. Bisweilen genügt schon die Angabe “in” oder “gleich neben der weißen Stadt”. Die Verantwortlichen bei der Hessenagentur umschreiben das mit den Worten: “Die Strahlkraft der weißen Stadt ist immens.”
Neben Christoph Müller-Dott bauen derzeit noch ein Bauherr aus China und ein Neu-Frankfurter mit persischen Wurzeln. Auch dieser Mix in der weißen Stadt fasziniert ihn. Beim “Tag der Architektur” im Juni führte er gemeinsam mit Experten vom Frankfurter Büro unlimited architekten sechs Besuchergruppen durchs Haus. Er wird nicht müde zu betonen, wie wohl er sich am Riedberg fühlt, auch wenn er hier noch Bedarf an Infrastruktur, Ärzten und vor allem Restaurants sieht. Die offene Küche, in der sich beim Termin am Freitag und auch sonst alle gern versammeln, ist übrigens “sein” Platz… C. Detsch