Als Sabrina (23) gefragt wird, wie lange sie während der Woche arbeitet, berichtet sie: „Bis 16 Uhr.“ Auf die Frage, was sie danach am liebsten macht, antwortet sie entwaffnend ehrlich: „Na, zuhause chillen!“ Und wie gefällt’s ihr und Mitbewohnerin Anica (20) im neuen Zuhause? „Alles gut, alles easy“, sagt Anica. „1A“, fügt ein weiterer Zimmernachbar hinzu. Es sind Antworten, die zeigen, „dass hier nicht andere vorgeben, wie man zu leben hat“, wie Stadtkämmerer Uwe Becker formuliert. Dass hier zwölf Menschen mit geistiger Behinderung und eine Bewohnerin mit schwerst-mehrfacher Behinderung „nicht am Rande, sondern mittendrin leben“. In 60438 Frankfurt-Riedberg. Im inklusiven Wohnprojekt der Lebenshilfe-Stiftung, das vergangene Woche feierlich eingeweiht wurde. Übrigens sind dort neben Wohneinheiten für Behinderte auch zwei Wohnungen für den freien Wohnungsmarkt vorgesehen.
„Euch brauchen wir noch hier auf dem Riedberg“, hatte Werner Hackermeier, Projektleiter der Hessenagentur, zum Vorstand der Lebenshilfe-Stiftung einst gesagt. Die Stiftung betreibt bereits zwei andere Einrichtungen in Frankfurt, möchte entsprechend der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung den Bewohnern ein möglichst unabhängiges Leben bieten. Die Unterstützung folgt nach dem Grundsatz: „So wenig Hilfe wie möglich, aber so viel wie nötig.“ So bekommen Sabrina und ihre Mitbewohner Hilfe beim Haushalt, Geldeinteilen, Briefeschreiben oder der Freizeitgestaltung. Sie sind in der Regel in einer Werkstatt, zum Beispiel den Praunheimer Werkstätten beschäftigt, und sollen und dürfen an ihren Aufgaben wachsen. Aber auch die Dame mit Schwerstbehinderung, die im Erdgeschoss wohnt und eine 24-Stunden-Betreuung benötigt, hat ein nahezu alltägliches Wohnumfeld. Nicht zuletzt deshalb nennt Stadtkämmerer Becker das Haus „ein Ausrufezeichen der Menschlichkeit dieser Stadt“.
Nur wenige hundert Meter weiter, in der Altenhöferallee, befindet sich ein Heim des Sozialwerks Main Taunus für psychisch kranke, das ebenfalls „ein offenes Haus“ sein will und schon ein gelungenes Nachbarschaftsfest feierte. Wenige hundert Meter in der anderen Himmelsrichtung werden in den nächsten Jahren 90 „weiße Villen“ im Wohnquartier Westflügel entstehen, mit Preisen bis zu 1,8 Millionen Euro. Rund um das neue Haus der Lebenshilfe ist allerdings schon reichlich Leben in den Mehrfamilien- und Reihenhäuser. Auch die zweite Grundschule liegt in unmittelbarer Nähe. Die Verantwortlichen sind sich sicher: Das Wohnprojekt ist ein Gewinn für den ganzen Stadtteil.
Architekt Prof. Christoph Mäckler spricht davon, dass das Haus Geborgenheit vermittelt
Rund 3,2 Millionen Euro hat das Projekt gekostet, das erst durch zahlreiche Spenden, unter anderem von großen Bauträgern am Riedberg und der Aktion Mensch, möglich wurde. Das Gebäude steht frei und ist barrierefrei gestaltet. Es wurde vom Büro Prof. Christoph Mäckler Architekten entworfen. Christoph Mäckler, Frankfurter und einer der renommiertesten Stadtplaner der Republik, spricht in seiner Rede davon, dass das Haus mit seinem stabilen Dach, den schützenden Mauern und den hohen Qualitäts-Standards Geborgenheit vermittelt. Es soll ein Zuhause werden und Generationen überdauern. Wartelisten existieren bereits jetzt. Den Bewohnerinnen Anica und Sabrina war die geballte Aufmerksamkeit bei der Einweihung fast ein wenig unangenehm. Da nahmen sie sich gegenseitig fest in den Arm und lächelten. Nicht nur fürs Foto.
(Text und Fotos: cd)