Vor 80 Jahren gingen deutschlandweit Schaufensterscheiben jüdischer Ladengeschäfte zu Bruch, während rassistisch motivierte Randalierer ihre andersgläubigen Mitbürger durch die Straßen hetzten, enteigneten und in den Tod trieben.
Bei einer Gedenkstunde in der Paulskirche gedachten am heutigen 9. November zahlreiche Vertreter der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, der Frankfurter Politik und Stadtgesellschaft sowie Oberbürgermeister Peter Feldmann der Ereignisse vom November 1938. Zu den Gästen zählten auch Harry Schnabel, Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, sowie Botschafter Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.
„Als die Große Synagoge am Börneplatz 1938 in Flammen stand, wurde das medial begleitet. Alles, was an diesem Tag in Frankfurt geschah, ist für uns heute leicht rekonstruierbar: Der Stolz der Täter auf die perfekte Organisation der Pogrome sorgt dafür, dass wir ihr ganzes Ausmaß ohne Mühen nachvollziehen können“, sagte Oberbürgermeister Peter Feldmann in seiner Ansprache. Was jedoch nicht rekonstruierbar sei und nicht nur der historischen Forschung überlassen werden dürfe, so der Oberbürgermeister, sei die stete Erinnerung und Rückbesinnung an die schrecklichen Ereignisse vor 80 Jahren, die sich in Frankfurt und ganz Deutschland zutrugen.
Allein aus Frankfurt wurden seinerzeit über 31.000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt. Viele unter ihnen überlebten die Martern nicht. Insgesamt kamen mehr als tausend Frankfurter durch Mord und die indirekten Folgen der Übergriffe sowie den Freitod ums Leben. „Das jüdische Leben in Deutschland wurde im Gewalt beendet“. Feldmann bezeichnete den 9. November 1938 als ersten dramatischen Fixpunkt der fanatischen antisemitischen Exzesse, die Deutschland bis zum Kriegsende anno 1945 erschütterten.
„Es ist einerseits ein deutliches Zeichen, dass wir uns politisch um den Schutz und die Förderung jüdischen Lebens sowie den Kampf gegen Antisemitismus kümmern wollen. Es zeigt anderseits aber auch, dass Antisemitismus in Deutschland in seinen unterschiedlichen Ausformungen immer noch präsent ist. In den wenigen Monaten seit Beginn meiner Amtszeit habe ich festgestellt, dass neben einer aktiven Bildungsarbeit vor allem die Erinnerungspolitik das wichtigste Instrument im Kampf gegen Antisemitismus ist“, sagte Felix Klein, der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Errungenschaften der letzten Jahre und Jahrzehnte einer erstarkenden antidemokratischen und von Ausgrenzung geprägten Politik zum Opfer fallen“, forderte Klein in seiner Rede.
Damit sich Geschichte nicht wiederholt, haben Frankfurter Initiativen und Institutionen, unter ihnen das Fritz Bauer Institut, die Bildungsstätte Anne Frank, das Jüdische Museum sowie zahlreiche Privatleute, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten mit großem Kraft- und Finanzaufwand um Aufklärung und Aussöhnung gerungen. Und doch: „80 Jahre nach den Pogromen hier in Frankfurt hören wir an vielen Orten unseres Landes wieder eindeutig rassistische Reden. Wir hören Denk- und Sprechfiguren, die uns aus dem Nationalsozialismus vertraut sind. „Der Unterschied von damals zu heute ist, dass es uns heute leichter fällt, diese Rhetorik zu durchschauen“, erinnerte der Oberbürgermeister daran, dass Rassismus und Antisemitismus auch im Deutschland des Jahres 2018 noch immer nicht vollständig überwunden sind.
Umso mehr gelte es, nicht nur anlässlich von Jahres- und Gedenktagen, sondern auch im Alltag genau hinzusehen, wenn einem erste Anzeichen von Diskriminierung und Rassismus begegnen. Denn: „All diese Fortschritte nutzen nichts, wenn wir nicht gemeinsam hinsehen. Wenn wir nicht die Gardinen öffnen anstatt sie zuzuziehen, wenn wir uns nicht verantwortlich fühlen für das, was in unserer Stadt und unserem Land geschieht“, appellierte Feldmann an die Anwesenden, sich entschieden und lautstark gegen Fremdenhass und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen: „Alles, was wir tun müssen, ist hinzuschauen und ,Nein‘ zu sagen. Aber das müssen wir selbst tun. Diese Verantwortung kann uns keiner abnehmen.“
Harry Schnabel, Mitglied des Vorstands, der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, forderte: „Vielleicht sollte man daran arbeiten, dass nicht nur europäische Güter zu Exportschlagern werden, sondern auch europäische Werte.“ Denn der Stolz auf europäische Werte sei der beste Schutz gegen völkische Tendenzen. Es sei „zwar fast schon zum Ritual geworden, zu sagen, Gedenktage dürften nicht zu Ritualen werden“, sagte Schnabel. Doch Gedenktage „müssen doch mindestens zur Reflexion und zum Handeln führen“, forderte Schnabel abschließend.
Bereits am Vortag gedachte die jüdische Gemeinde Frankfurt im Beisein des Oberbürgermeisters in der Westend Synagoge den Opfern der Pogromnacht von 1938.
Informationen: Stadt Frankfurt
Foto oben: entnommen aus yadvashem.org