Frühzeitige Erdbebenwarnung dank »Künstlicher Intelligenz«

Projekt CREIME

Ein deutlich verbessertes Modell für eine frühere Erdbebenvorhersage beschreibt eine Arbeitsgruppe am FIAS* in zwei aktuellen Veröffentlichungen. Es präzisiert und beschleunigt die zuverlässige Einschätzung von Erdbeben, was insbesondere Vorwarnungen in weniger entwickelten Weltregionen erleichtert.

Grundlage des auf Deep Learning* basierenden Modells des Teams um Frau Nishtha Srivastava sind Schwingungen, die – verglichen mit den nachfolgenden, verheerenderen Wellen – besonders schnell über die Erdschichten übertragen werden. Diese P-Wellen* eilen den eigentlichen Erschütterungen voraus – je nach Entfernung von der Quelle des Bebens um Sekunden oder Minuten. „Dieser kurze Zeitvorsprung kann reichen, um sich in Sicherheit zu bringen“, betont Frau Srivastava. Die nachfolgenden S-Wellen* und Oberflächenwellen sind höher, gefährlicher und verursachen größere Schäden.

Das von den Wissenschaftlern entwickelte Modell CREIME* erfüllt drei Aufgaben: Es erkennt die frühen P-Wellen*, kann Hintergrundschwingungen unterscheiden und sogar die Stärke des folgenden Bebens vorhersagen. „Bisher ist für eine zuverlässige Vorhersage ein Netzwerk von Messstationen notwendig“, erklärt Frau Megha Chakraborty (25), FIAS-Doktorandin und Erstautorin beider Publikationen. „Für unser Modell reicht eine Station, um vor Erdbeben in einer Entfernung von etwa 350 Kilometern zu warnen“.

Bestehende Methoden erfordern oft ein hohes Maß an Personalaufwand und Erfahrung. Zudem sind sie sehr empfindlich gegenüber Hintergrundschwingungen. CREIME* differenziert zwischen seismischen Ereignissen und Störungen mit einer durchschnittlichen Genauigkeit von 98 %.

CREIME liefert innerhalb von 2 Sekunden nach dem Eintreffen der ersten P-Welle eine erste Schätzung der Erdbebenstärke. Das zeigen die Autorinnen mit zwei unabhängigen Datensätzen aus Italien und der ganzen Welt. „Unsere Vorhersagegenauigkeit übertrifft klassische Modelle, da es 10 % mehr Ereignisse erkennt“, so Srivastava. Mit einem Deep-Learning-Ansatz lernt das System zudem ständig hinzu. Ein weiteres System, PolarCAP*, identifiziert automatisch die vertikale Richtung der ersten Bewegung während eines Erdbebens, was für die Einschätzung des zugrunde liegenden Bebens wichtig ist.

Das Team will die CREIME*- und PolarCAP*-Prototypen nun in Echtzeit testen. „In Regionen wie Südkalifornien oder Indonesien, wo die Epizentren sehr nahe an menschlichen Siedlungen liegen, könnte eine App, die auf unserem Modell basiert, die Menschen in Zukunft früh genug warnen, damit sie Schutz suchen können“, hofft Frau Chakraborty.


Bild
Das CREIME-Modell verarbeitet 5-Sekunden-Fenster, um ein Erdbeben zu erkennen. Innerhalb von Sekunden nach dem Eintreffen der P-Welle gibt es eine Warnung aus, damit gefährdete Personen rechtzeitig Schutz suchen können, bevor die gefährlichen S-/Oberflächenwellen eintreffen. Bild von Megha Chakraborty, FIAS

*Abkürzungen/Erläuterungen
FIAS = Frankfurt Institute for Advanced Studies
P-Wellen = Primärwellen
S-Wellen = Sekundärwellen
CREIME = Convolutional Recurrent Model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation
PolarCAP = A deep learning approach for first motion polarity classification of earthquake waveforms (Mehr Info)

Deep Learning
Deep Learning (tiefes Lernen) ist ein Teilgebiet von maschinellem Lernen, welches sich auf künstliche neuronale Netze und große Datenmengen konzentriert. Es wird dazu genutzt, Bilder zu erkennen, Texte zu verstehen und Entscheidungen genauer zu tätigen.

 

Publikationen:

  • Chakraborty, M., Fenner, D., Li, W., Faber, J., Zhou, K., Rümpker, G., et al. (2022). CREIME—A Convolutional Recurrent model for Earthquake Identification and Magnitude Estimation. Journal of Geophysical Research: Solid Earth, 127, e2022JB024595. https://doi.org/10.1029/2022JB024595
  • Megha Chakraborty, Claudia Quinteros Cartaya, Wei Li, Johannes Faber, Georg Rümpker, Horst Stoecker, Nishtha Srivastava, PolarCAP – A deep learning approach for first motion polarity classification of earthquake waveforms, Artificial Intelligence in Geosciences (2022) 3, 46-52, ISSN 2666-5441, https://doi.org/10.1016/j.aiig.2022.08.001
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