Appell an die Vernunft

Die Erleichterung nicht nur in Frankfurt war riesengroß, als Feuerwehr und Polizei gestern erklärten, dass die 1,8 Tonnen schwere Weltkriegsbombe im Westend erfolgreich entschärft wurde. Heute war dann der Tag, um danke zu sagen. Prof. Birgitta Wolff, Präsidentin der ebenfalls betroffenen Goethe-Universität, dankte insbesondere René Bennert und Dieter Schwetzler vom Kampfmittelräumdienst des Regierungspräsidiums Darmstadt (siehe Foto oben) „für ihren fantastischen Einsatz“. Das machte auch OB Peter Feldmann und gab zugleich bekannt, dass es demnächst auch eine Dankesveranstaltung für Einsatzkräfte und Helfer in der Paulskirche geben wird.

Aufhorchen ließen aber die Zahlen, die Polizeipräsident Gerhard Bereswill bereits am Sonntag bekannt gab. Im Zuge der Evakuierung der 65.000 Bürgerinnen und Bürger aus der 1,5 Kilometer umfassenden Sperrzone rund um den Bomben-Fundort hatte die Polizei 298 Platzverweise aussprechen, sowie 36 Identitätsfeststellungen, 26 Transporte, 19 Wohnungsöffnungen und sogar 5 Verhaftungen vornehmen müssen. Zuvor hatte sich die Entschärfung mehr als zwei Stunden verzögert, da verschiedene Bürger die Räumung der Evakuierungszone wohl eher als Happening, denn als lebensbeschützende Maßnahme interpretiert hatten. Einige hatten sich schlicht geweigert, ihre Wohnungen zu verlassen. Grund genug für Dr. Olaf Kaltenborn von der Pressestelle der Goethe-Universität, bei Sozialpsychologe Prof. Rolf van Dick nachzufragen, was Menschen zu einem solchen Verhalten motiviert:

Herr Prof. van Dick, gibt es bestimmte Kollektive oder Individuen, die für solche Verhaltensweisen besonders anfällig sind?

Es gibt bestimmte Individuen, die besonders autoritaristisch eingestellt sind und Regeln besonders eng befolgen und Anweisungen von oben unbedingt durchsetzen. Das bedeutet natürlich, dass es umgekehrt auch Menschen gibt, die eine besonders geringe Autoritarismusneigung haben, und sich grundsätzlich eher auflehnen, wenn es Anweisungen gibt, wie bei der Evakuierung. Für Kollektive gilt, dass diese in manchen Kulturen eher ein starkes Gefühl für Gleichheit haben und Unterschiede in der Machtverteilung nicht akzeptieren. Dazu gehört auch Deutschland. Hier ist es also auch wahrscheinlicher, dass man sich Anweisungen „von oben“ etwas stärker widersetzt. Außerdem gibt es situative Einflüsse (wie z.B. Dunkelheit), die dann eher dazu führt, dass man nicht das tut, was eigentlich vernünftig wäre.

Hat die Sozialpsychologie in der Vergangenheit bereits vergleichbare Fälle analysiert?

Nicht, dass ich wüsste. Aber es gibt Forschungen zu Verhalten in größeren Gruppen, die dann sehr dumme Dinge tun. So ist es z.B. in den USA immer wieder vorgekommen, dass Menschenmengen Selbstmordkandidaten, die auf hohen Häusern standen „anfeuern“, doch zu springen. Oder „bystander“ von Unfallopfern, die, wenn sie in der Menge sind, nicht eingreifen oder helfen. Das ist alles recht gut erforscht.

Wie sieht aus Sicht der Sozialpsychologie die richtige Reaktion der Behörden auf ein solches Verhalten aus?

Das Vernünftigste ist, Individuen als Einzelne anzusprechen und an ihre Vernunft zu appellieren. Wenn das nicht hilft, sollte man auch mit Konsequenzen drohen. Bei Gaffern bei Unfällen z.B. werden regelmäßig Platzverweise durch die Polizei ausgesprochen, die, wenn sie nicht eingehalten werden, auch zu Geldbußen führen können. Außerdem kann es auch sinnvoll sein, in so einem Fall – ohne allerdings Panik zu verbreiten – auf frühere Entschärfungsversuche zu verweisen, die schief gegangen sind (2010 sind z.B. in Göttingen drei Experten des Kampfmittelräumdienstes ums Leben gekommen, weil eine 400 kg-Bombe bei der Entschärfung explodiert ist). Dies würde der Haltung entgegenwirken, dass die Menschen denken „es passiert ja doch nichts“.

Quelle: Pressestelle Goethe-Universität/ aktuelles.uni-frankfurt.de
Foto: feuerwehrffm

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