Wir haben Angst vor der Abschiebung

Frankfurt, Riedberg, kurz nach 11 Uhr. Im Infobüro der Hessenagentur hängen an einer Wäscheleine deutsche Worte auf weißen Blättern und dazwischen eine gelbe Hose. Hier findet der Sprachkurs für Frauen aus der Asyl-Notunterkunft in Kalbach statt, den das Riedberger Familienzentrum Billabong in den Herbstferien organisiert. Doch jetzt, in einer kurzen Pause, scheint es zumindest unter den Frauen, die aus Afghanistan stammen, nur ein Thema zu geben. Weeda Sultani (24), Mutter von zwei Kindern, fragt laut und auf Englisch: „Warum sagen eure Politiker zu uns: ,Geht zurück nach Afghanistan?’ Wir haben kein Zuhause, wir haben nichts mehr. Wenn wir zurückmüssen, werden wir getötet.“ Seit bekannt wurde, dass die Bundesregierung den Abschiebe-Stopp für Asylsuchende aus Afghanistan aufheben und Afghanen künftig verstärkt abschieben will, können laut Weeda Sultani „viele von uns nicht mehr richtig schlafen und weinen“. Sie sagt, dass auch sie große Angst hat.

Dann beginnt sie zu berichten: „Ja, wir sind wirklich zu Fuß hierhergekommen. Wir sind groß, aber unsere Kinder sind klein und schwach. Manchmal hatten wir zwei Tage und zwei Nächte nichts zu essen und zu trinken. Meine Tochter hat oft geweint und gefragt: ,Wie lange noch?’ Ich habe immer wieder gesagt: ,Nur noch fünf Minuten, nur fünf Minuten.’ Ich wusste, obwohl unsere Schuhe voll Wasser sind und es kalt ist, müssen wir die ganze Nacht laufen. Wir sind von Kabul nach Kandahar, dann in den Iran, weiter über die Türkei, in einem schlechten Boot mit 65 anderen über das Meer nach Bulgarien. Dann waren wir endlich in Europa. Am schlimmsten war es im Iran und später auf dem Boot. Im Iran haben Polizisten auf uns, unsere Männer und Kinder geschossen. Später in der Türkei haben wir manchmal versucht, Autos aufzuhalten und gebeten: ,Helft uns, helft uns doch, gebt uns bitte Wasser oder wenigstens den Kindern eine Banane.’ Viele sind weitergefahren oder haben gesagt, dass sie Ärger mit der Polizei bekommen, wenn sie uns helfen. Wenige haben uns etwas gegeben. Das waren gute Menschen. Mitgenommen hat uns aber keiner. Wir haben nicht auf einem Bett oder in einem Lager geschlafen. Wir haben nächtelang mit den Kindern an einem Flussufer geschlafen. Jetzt sind wir hier und eure Politiker sagen, dass wir wieder zurück müssen. Wisst ihr denn nicht, warum wir geflohen sind?“

Neben Weeda Sultani steht eine junge Afghanin, die ihren Arm fest um ihre kleine Tochter legt. Da Weeda am besten Englisch von allen kann, soll diese ihr helfen, auch ihre Geschichte zu erzählen. Die junge Frau mit dem schwarzen Kopftuch heißt Mohabat. Sie hat ihren Mann auf der Flucht verloren. Sie wusste wochenlang nicht, wo er ist und ob er noch lebt. Über Umwege und andere Flüchtlinge hat sie erfahren, dass er vermutlich im Iran in einem Gefängnis ist, „weil ihn die Polizei einfach festgenommen hat“. Ihre Freundin Weeda soll bitte noch hinzufügen, dass sie unbedingt Deutsch lernen will. Dann beginnt wieder der Unterricht in 60438 Frankfurt-Riedberg.

Über den Sprachkurs wird MAINRiedberg in einem weiteren Artikel berichten.

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Diese junge Afghanin hat ihren Mann auf der Flucht verloren. Sie nimmt ihre Tochter fest in den Arm und lässt ihre Freundin übersetzen: „Wir haben Angst. Wir können nicht zurück.“

(Text & Fotos: C. Detsch)

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