1000 Autos pro Stunde

Inge und Reiner Schneider bitten auf ihre Terrasse. Hier haben sie direkte Sicht auf die Kreuzung Graf-von-Stauffenberg-Allee/ Altenhöferallee. Die 75 und 76 Jahre alten Riedberger berichten, wie gerne sie hier immer noch wohnen. Doch sie berichten auch, wie – zunächst kaum merklich, aber dann immer unüberhörbarer – Verkehr und Verkehrslärm stärker wurden. „Der Berufsverkehr morgens nimmt stetig zu. Aber der Verkehr am Abend ist noch schlimmer“, erklären sie. Dann wird die Auto-Kolonne unten auf der Straße immer länger, also der Rückstau vor der Einmündung in die Altenhöferallee. Ab 16.30 Uhr passieren hier mehr als 1000 Fahrzeuge den Kreuzungsbereich – in nur einer einzigen Stunde. Das hat eine „private“ Verkehrszählung von Reiner Schneider ergeben. Diese liegt MAINRiedberg vor.

Es begann damit, dass sie ihr Fenster morgens immer früher zumachen mussten. „Wir schlafen immer bei offenem Fenster, aber so hält man das nicht aus“, erzählt das Paar. Vor einem Jahr wurde die Abfahrt in den neuen West-Teil des Riedbergs geöffnet. Die Anbindung hat 1,6 Millionen Euro gekostet, wurde von vielen Riedbergern ersehnt, da es eine weitere, wichtige Zufahrtsmöglichkeit in den Stadtteil bedeutet. Doch ab Sommer 2015 schien es dem Ehepaar Schneider so, als ob längst nicht mehr NUR Riedberger die neue Verkehrsader nutzten. Von ihrer Terrasse aus haben sie Buch geführt und berechnet, dass in der Rushhour inzwischen im Schnitt alle 3,5 bis 4,5 Sekunden ein Auto, Bus oder Lkw vorbeifährt.

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Inge und Reiner Schneider lieben ihre Terrasse – allerdings haben sie von dort aus auch den direkten Blick auf die Verkehrsströme an der Kreuzung Graf-von Stauffenberg-/ Altenhöferallee

Wird der Riedberg zum Pendler-Schleichweg?

Für Reiner Schneider ist das schon längst keine Frage mehr – sondern Fakt. „Das sieht man alleine schon an den vielen Autokennzeichen, die nicht mit F beginnen.“ Denn nicht nur die Navis kennen längst den Schleichweg über Kalbacher Höhe, Riedbergallee und Altenhöferallee in beide Himmelsrichtungen. Noch beliebter indes scheint der zweite Riedberg-Schleichweg zu sein, der von der Rosa-Luxemburg-Straße rechts in die Graf-von-Stauffenberg-Allee und dann in die Altenhöferallee führt. Diese Strecke erspart Pendlern auf dem Weg von und zur Arbeit die alltäglichen Stauungen zwischen Rosa-Luxemburg-Straße und Aral-Tankstelle sowie morgens vor der Ampel der Landesstraße aus Richtung Kalbach und A661. All das führt, so Reiner Schneider, „zu einer untragbaren Verkehrsbelastung am Riedberg“. Höhere Feinstaubwerte und Gesundheitsrisiken inklusive.

Noch ein Aspekt könnte wichtig sein: Die Straßen sind offensichtlich als Erschließungsstraßen für den Stadtteil und nicht als Durchfahrtsstraßen konzipiert. Das könne man, so argumentiert Reiner Schneider, auch daran sehen, dass zwei etwas breitere Fahrzeuge oder normale Lastwagen kaum aneinander vorbeifahren können, ohne dass mindestens ein Fahrzeug auf die Radspuren ausweichen muss. Auch Folgendes haben die Anwohner beobachtet: Während die Fahrer der Linienbusse auch, wenn’s eng wird, noch abbiegen können, scheitern andere Verkehrsteilnehmer daran. Die Schilder auf der Mittelinsel an der Kreuzung Graf-von-Stauffenberg-/ Altenhöferallee wurden jedenfalls schon mehrmals umgefahren.

Was den Verkehrsstrom stoppen könnte

Reiner Schneider möchte aber nicht nur auf Missstände aufmerksam machen. Er hätte auch einige Ideen parat, die den Pendler-Strom auch preisgünstig stoppen könnten. Die Ampel an der Rosa-Luxemburg-Straße könnte man beispielsweise so umprogrammieren, dass der grüne Pfeil Richtung Riedberg anders geschaltet und damit nicht mehr so attraktiv für Nicht-Riedberger wäre. Auch Tempo 30 im gesamten Gebiet des Riedberg würde eine Lärm- und Verkehrsminderung bewirken.

Eine Verlagerung des Verkehrs aus dem Riedberg heraus würde auch „keinerlei Nachteile für andere Bürger bringen“. Da an den bisherigen Hauptverkehrswegen nicht viele wohnen.

Die „private“ Verkehrszählung auf einen Blick

Reiner Schneider holt seinen Hefter mit den exakten Strichlisten und erklärt: „Ich habe die Autos auf der Altenhöferallee und an der Einmündung der Graf-von Stauffenberg-Allee gezählt, also sowohl abbiegende, als auch durchfahrende Fahrzeuge.“

Seine Zählungen ergaben:

7.30 bis 8.30 Uhr werden insgesamt 805 Fahrzeuge gezählt
12.30 bis 13 Uhr (hochgerechnet auf 1 Stunde) 510 Fahrzeuge
16.30 bis 17 Uhr (hochgerechnet auf 1 Stunde) 1.080 Fahrzeuge

Nur zur Erläuterung: Der Zusatz „hochgerechnet“ bedeutet, dass mittags und abends in der angegebenen halben Stunde die Autos gezählt und dann die Zahl dieser Autos auf die volle Stunde aufgerechnet wurden.

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Reiner Schneider hat über jedes durchfahrende Auto Buch geführt – die Bilanz in absoluten Zahlen überraschte aber auch ihn

Der Appell der Anwohner

Heute in der Ortsbeiratssitzung ab 20 Uhr wird sich das Ehepaar Schneider am Anfang in der Bürgersprechstunde zu Wort melden. Ruhig und sachlich, wie beim Besuch von MAINRiedberg. In dem Wissen, dass auch viele andere Anwohner ihren Appell unterstützen. Wurde nicht einst mit dem Slogan „Riedberg – urbaner Stadtteil im Grünen“ für das größte Neubaugebiet Hessens geworben? Das Verkehrsaufkommen scheint dazu nicht mehr zu passen. Reiner Schneider sagt: „Es ist nicht einzusehen und kann nicht toleriert werden, dass die Bequemlichkeit vieler Autofahrer Vorrang vor der gesundheitlichen Unversehrtheit der Bürger hat.“ Auch die zweite Grundschule des Riedbergs liegt direkt an der neuen „Pendlerstrecke“.

(Text & Fotos: cd)

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